Die Tage des Regenbogens (German Edition)
schickst mir den Schlimmsten aller Wahnsinnigen nach Hause!«
»Und?«
»Und was?«
»Du wolltest Lebensfreude, Don Adrián. Da hast du sie. ›Nein, nein, nein, nein, nein, nei-ein …‹ Das ist doch genial!«
Bettini beendete das Gespräch, indem er mit finsterer Miene den Hörer auf die Gabel knallte. Mit gesenktem Kopf ging er auf Alarcón zu, der gespannt auf ihn wartete.
»Wie fanden Sie meinen Nein-Walzer , Señor Bettini?«
Der Werbemann ließ die Silben wie Steine aus dem Mund kullern: »Ge-ni-al, Señor Alarcón. Genial.«
»Danke, aber ich nehme das Werk nur zur Hälfte für mich in Anspruch. Die andere Hälfte geht auf das Talent von Strauß.«
»Alarcón und Strauß.«
»Ein Doppelsieg.«
»Sie und Strauß, ein begnadetes Duo.«
»Wie Zwillinge.«
»Unzertrennlich, wie Pech und Schwefel, wie Arsch auf Eimer.«
»Sie sagen es.«
Bettini packte ihn am Kragen und beförderte ihn kurzerhand aus dem Zimmer. Er schleppte ihn durch den Flur zur Eingangstür, wo er ihm einen beherzten Stoß versetzte.
»Raus!«
Erst dann bemerkte er, dass Patricia Bettini, die gerade die Tür aufsperren wollte, Zeugin der ungewöhnlichen Szene geworden war.
NEUNZEHN
I n der Turnstunde springen wir über den Bock, machen anschließend auf der Matte eine Rolle vorwärts, rennen zurück ans Ende der Schlange und wieder alles von vorn.
Wir tragen weiße T-Shirts und kurze Hosen, und trotz der Leibesübungen ist uns kalt. Wir reiben uns Schenkel und Arme. Mit seiner Trillerpfeife zeigt der Lehrer uns an, wenn wir den Ablauf von Springen und Rollen ändern sollen. In seinem blauen Trainingsanzug ist ihm sicher schön warm. Neben ihm steht ein Junge in unserem Alter, der uns beim Turnen zuschaut. Nach einer Weile bittet unser Lehrer mich, ihn vor mich in die Reihe zu lassen.
»Das ist ein neuer Schüler«, erklärt er mir. »Ein Chilene, der aus Argentinien zurückgekommen ist.«
Er haucht sich in die Hände, damit sie warm werden.
»Woher kommst du?«, frage ich ihn.
»Aus Buenos Aires. Mein Vater war im Exil, und jetzt darf er zurück. Sie haben ihm das ›L‹ aus dem Pass entfernt.«
»Wie heißt du?«
»Héctor Barrios.«
»Und dein Spitzname? Tito?«
»Nein. Chilene.«
»Also, dann musst du dir jetzt einen anderen Spitznamen zulegen, hier in Chile sind wir nämlich alle Chilenen.«
Wir nehmen zusammen Anlauf, doch anstatt über den Bock zu springen, bleibt er wie angewurzelt stehen und sieht ängstlich zum Lehrer.
»Was ist, Barrios?«
»Ich weiß nicht, Herr Lehrer«, stammelt er in seinem argentinischen Zungenschlag, »als der Kasten näher kam, dachte ich auf einmal, da komme ich niemals rüber.«
Also gehe ich mit ihm zurück zur Startposition.
»Einmal habe ich mir bei so was das Handgelenk verstaucht«, sagt er.
»Ach so. Dann lass mal. Ich erkläre es dem Lehrer.«
»Danke. Wie heißt du?«
»Nicómaco. Aber alle sagen Nico zu mir.«
»In Buenos Aires hatte ich einen in der Klasse, der hieß Héliogábalo.«
»Wie habt ihr ihn genannt?«
»Gabo.«
»Wie Gabriel García Márquez.«
»Genau.«
Ich nehme Anlauf, renne, springe sauber über den Lederbock und rolle geschmeidig auf der Matratze ab. Dann gehe ich zum Lehrer.
»Was ist mit unserem Che?«
»Das Handgelenk, Herr Lehrer. Er hatte es sich ganz schlimm gebrochen.«
»In Argentinien?«
»Der Ärmste«, bestätige ich.
»O je!«
Er winkt ihn zu sich.
»Du bist entschuldigt, Che. Im Unabhängigkeitskampf gegen Spanien haben Chile und Argentinien auch zusammengehalten.«
Barrios bohrt mir den Finger in die Brust.
»Ich wusste, dass ihr mich in Chile Che nennen würdet. So nennt ihr alle Argentinier, oder?«
ZWANZIG
P atricia wurde Zeugin, wie der kleine Mann vom Boden aufstand und sich davonmachte, noch ohne sich den Staub vom Jackett zu klopfen.
»Papa, was machst du da?«
Bettini ging zurück ins Haus und kehrte seiner Tochter den Rücken zu.
»Ich bemühe mich nach Kräften, das Lied für die ›Nein‹-Kampagne zu komponieren, und da kommt dieser Spinner und belagert mich mit seiner Blauen Donau und kräht ›nein, nein, nein, nein‹ dazu.«
»Du hast den Chiquitito rausgeworfen?«
»Chiquitito, aber sein Verrücktheitsgrad ist umgekehrt proportional zu seiner Körpergröße!«
»Aber, Papa. Er hat diesen Walzer gestern in der Scuola Italiana gesungen. Er geht uns nicht mehr aus dem Ohr. Alle in meiner Klasse haben ihn heute vor sich hin geträllert.«
Bettini stutzte.
»Auch die unentschlossenen
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