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Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Titel: Die Tage des Regenbogens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Skármeta
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Schüler?«
    »Alle. Der Walzer ist genial, Papa.«
    Sie gingen ins Arbeitszimmer, und der Werbefachmann wischte mit dem Ärmel über die Tasten, wie um Alarcóns Fingerabdrücke zu beseitigen.
    »Genial. Dasselbe hat dein hübscher Nico Santos gesagt.«
    »Wenn es doch stimmt! Der Chiquitito war auch bei ihm in der Schule und hat vor den Schülern gesungen. Er zieht von Gymnasium zu Gymnasium, von Universität zu Universität. Und sobald einer von den Militärs kommt, verstecken ihn die Studenten.«
    »Was gar nicht nötig wäre. Bei seiner Körpergröße bräuchte man ihn nur in eine Schuluniform zu stecken, und alle würden ihn für einen Schüler halten.«
    Er setzte sich ans Klavier und spielte, mit Pedal verstärkt, die heimliche Hymne der Allende-Jahre: El pueblo unido jamás será vencido – Das vereinte Volk wird niemals besiegt werden .
    »Ich muss eine Harmonie finden, die sie alle vereint, Liberale wie Christdemokraten, Sozialisten, Sozialdemokraten, Radikale, linke Christen, Ökologen, Humanisten, Erneuerte Sozialisten, Kommunisten, Zentristen … Das ist doch Kakofonie!«
    Patricia stand neben ihm, doch ihr Vater schloss ebenso sanft wie resigniert den Klavierdeckel.
    »Papa, sei nicht so retro. Wenn du die Leute dazu bringen willst, dass sie fröhlich mit ›Nein‹ stimmen, musst du auch etwas Fröhliches komponieren.«
    »Das versuche ich ja, aber mir fällt nichts ein.«
    »Irgendwas, das richtig groovt!«
    »Rock?«
    »Rock! Irgendwas Lässiges, wie die Songs von den Beatles. Du musst den Leuten vermitteln, dass ›Nein‹ sagen gut kommt! ›Nein‹ sagen kommt gut!«
    Patricia machte das typische Kopfschütteln, mit dem auch Paul McCartney seinen Pilzkopf im Rhythmus schüttelte: »She loves you, yeah, yeah, yeah …«
    »In meinem Fall müsste es natürlich heißen ›She loves you, no, no, no …«. Was, bitte, mache ich mit diesem verdammten ›Nein‹?«
    »Irgendwas Junges, Freches, Lustiges. Einen Schlusschor zum Beispiel: ›Nein, oh, oh …‹«
    Bettini rieb sich die Augen, als wollte er sich die schlechten Gedanken austreiben.
    »›Nein, oh, oh …?‹«
    »Genau. ›Nein, oh, oh …‹«
    »Ciao, Patricia.«
    »Gehst du weg?«
    »Nein. Aber du!«

EINUNDZWANZIG
    L aura Yáñez ist bei mir. Sie ist Patricia Bettinis beste Freundin und gleichzeitig das genaue Gegenteil von ihr. Pati, das brave Schulmädchen mit kindlichen Lippen und kleinen Brüsten, bändigt ihre langen braunen Haare mit einem Gummiband zum Pferdeschwanz; Laura, das Rasseweib, trägt eine gegelte Lockenmähne. Sie ist auch im Winter braun wie eine Strandnixe, ihre Schultasche ist mit Aufklebern von irgendwelchen Fernsehpopstars zugepflastert, und sobald sie aus dem Schultor tritt, betont sie ihren Schmollmund zusätzlich mit Gloss. Ihr Busen sprengt fast die Bluse der Schuluniform, und sie knöpft sie nur so weit zu, dass man die aufreizende Furche zwischen ihren Brüsten sehen kann. Wenn sie lächelt, was sie oft und gern tut, kommt ihr makelloses Gebiss zum Vorschein, und beim Gehen schwingt sie die Hüften wie beim Salsatanzen.
    Über ihr Leben in der Schule hat sie nur eines zu sagen: »Ich fühle mich wie eine Löwin im Käfig.« Entsprechend sehen ihre Hefte aus, rot übersät wie ein Kirschbaum beim Erntefest.
    Ich mache ihr eine Tasse Tee und verdränge die Frage, was Laura Yáñez ohne Patricia Bettini zu mir führt, ich will es gar nicht wissen. Sie hat eine Packung Kekse mitgebracht, die runden mit Schokogeschmack und weißer Cremefüllung. Nach dem ersten Schluck rückt sie damit heraus, dass sie mich um einen Gefallen bitten möchte.
    Sie sei zu dem Schluss gekommen, dass sie, selbst wenn sie Tag und Nacht büffeln und sich die Augen mit Zahnstochern offen halten würde, im zweiten Halbjahr niemals von den schlechten Zensuren wegkäme und also das Jahr wiederholen müsste.
    »Überleg doch mal«, sagt sie, »was das für mich bedeuten würde. Meine ganzen Freunde gehen auf die Uni oder heiraten, nur ich muss noch ein ganzes Jahr in diesem Käfig aushalten, auch noch mit den Dummköpfen aus der Klasse unter uns, das halte ich nicht aus. Wenn überhaupt, denn meine Eltern haben mir schon angekündigt, dass sie die Scuola Italiana nicht länger bezahlen können. Sie sind das Opferbringen leid. Wenn ich die Klasse wiederholen muss, drohen sie mir, wollen sie mich auf eine technische Schule oder Hauswirtschaftsschule schicken, und dann kann ich Köchin in einem Hotel werden.«
    »Okay« – sie knabbert

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