Die Tage des Regenbogens (German Edition)
in Begleitung von Olwyn, der energisch mit dem Finger auf ihn zeigte: »Bettini! Ich habe den Schneider mitgebracht, der das ›Nein‹-T-Shirt herstellen soll, den Künstler für die ›Nein‹-Fahnen, den Grafiker für das ›Nein‹-Plakat und den Filmemacher, der das ›Nein‹-Emblem für unseren Fernsehspot abfilmen soll. Bettini! Hast du für mich das Bild, das unsere Kampagne symbolisieren soll?«
Der Werbemann streckte den Arm aus bis zur allerhöchsten schwarzen Taste, drückte sie und ließ mit dem Pedal die Vibration in der Luft stehen.
»Einen Regenbogen«, hauchte er.
»Bettini?«
»Einen Regenbogen. Das Symbol der ›Nein‹-Kampagne ist ein Regenbogen.«
Olwyn sah die um ihn versammelten Praktiker ratlos an und blickte dann Hilfe suchend zu Magdalena. Die Frau zuckte mit den Schultern, und Olwyn zeigte anklagend auf das halb leere Whiskyglas neben dem Klavier.
»Ein Regenbogen, Bettini?«
»Ein Regenbogen, Senator.«
»Don Adrián, das ist ein politischer Wahlkampf und keine Karnevalsveranstaltung. Okay, die nordamerikanische Flagge hat diese ulkigen Sternchen, aber … ein Regenbogen! Nie gesehen.«
»Na ja, dann werden Sie eben jetzt einen zu Gesicht bekommen.«
»Man hat mir Sie als den besten Werbefachmann des Landes empfohlen. Lassen Sie mich nicht im Stich.«
Auf einmal schien Adrián aus seiner Benommenheit zu erwachen. Seine Worte gewannen die verlorene Kraft zurück, dieses Stakkato, mit dem er in den satten Jahren seine Kunden und deren Geld für sich einzunehmen verstanden hatte.
»Passen Sie mal auf, Senator. Der Regenbogen trägt alles in sich, was wir wollen. Er ist mannigfaltig in seinen Farben und trotzdem eine einzige Sache. Er steht für alle Parteien des ›Nein‹ und lässt jeder ihre Eigenart. Er ist etwas Schönes, das nach einem Unwetter aufsteigt, und mit seiner Farbenpracht übermittelt er genau das, was Sie wollen, Señor Olwyn: Lebensfreude!«
Der Politiker wusste einen Moment lang nicht, ob er in Ohnmacht fallen oder der scheuen Zuversicht auf den Gesichtern der Umstehenden Glauben schenken sollte. Dann schnipste er mit den Fingern und verkündete: »Meine Herren: das Symbol unserer ›Nein‹-Kampagne ist der Regenbogen! Bringen Sie ihn auf T-Shirts, Hüte, Fahnen, Plakate, auf die Straßen, die Mauern, den Himmel!«
Dann stürzte er sich auf den Werbefachmann, was mehr gewollt als spontan wirkte, und nahm ihn in den Arm.
»Hat es Sie viel Mühe gekostet, auf diese geniale Idee zu kommen, Bettini?«
Don Adrián blickte mit einer gewissen Wehmut auf das Whiskyglas, näherte sich dem Exsenator und flüsterte ihm ins Ohr: »Nocte dieque incubando.«
»Wie meinen?«
»Das ist Latein. Katholische Schule, Senator.«
»Und was heißt das?«
»Dass ich Tag und Nacht darüber gebrütet habe.«
DREIUNDZWANZIG
S eñor Paredes stürzt im Regenmantel zur Tür herein. Er hat Brot, Mortadella und eine Flasche Mineralwasser in einer Papiertüte dabei, denn er hat nicht gefrühstückt. Er habe sich verspätet, erklärt er uns, weil ein Kollege von ihm, der an einer Schule in einer nahen Stadt unterrichtet, gerade eine Chemotherapie bekommt, und damit man ihm nicht das Gehalt streicht, vertritt er ihn. Als er das sagt, strotzt der Zwei-Meter-Mann nur so vor Solidarität. Montags sitzt er den halben Tag im Bus, und die Fahrten nach Rancagua zahlt er aus der eigenen Tasche. Doch solange der Antrag des erkrankten Kollegen auf finanzielle Unterstützung noch in der Schulbehörde liegt, muss er diese Familie davor bewahren zu verhungern. Dazu sagen muss er nichts, weil jeder es weiß: Der Direktor der Schulbehörde sitzt im Gefängnis.
Señor Rafael Paredes arbeitet mit uns unter Hochdruck. Er hat bereits das Visum für Portugal und möchte das Stück, das wir gerade mit der Theatergruppe der Schule proben, unbedingt vorher noch aufführen. Also gibt es nächste Woche eine öffentliche Generalprobe, und wir Schauspieler steigen zu Helden auf: Die Schüler dürfen sich die Vorstellung ansehen und müssen nicht in den Unterricht. Nichts ist in der Schule beliebter als Stunden zu schinden. Die gemeinen Schüler können mit Theater nichts anfangen, aber wenn sie sich eine Physik- oder Chemiestunde ersparen können, werden sie in Scharen in die Aula strömen.
Auf dem Programm steht ein Zwischenspiel von Cervantes, Die Höhle von Salamanca . Eine lustige Geschichte, die damit beginnt, dass ein Ehemann sich von seiner Frau verabschiedet, um in eine andere Stadt zur Hochzeit
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