Die Tage des Regenbogens (German Edition)
roten Samtsesseln saß und sich angeregt unterhielt, und die klimpernden Armbänder der Damen, die zur Bühne hochblickten, wo Prominente herumstanden und sich bewundern ließen.
Bettini sah sich selbst im Traum hinter den Kulissen und meinte zu verstehen, dass es seine Aufgabe sei, den Dirigenten des Orchesters und den Chor auf die Bühne zu schicken. Die Zuhörer hüstelten aufgeregt, und die Damen wedelten mit ihren Fächern, damit ihnen bei der Hitze nicht das Make-up verlief.
Nach und nach klangen die fertig gestimmten Instrumente aus, erwartungsvolle Stille kehrte ein. Der erste Geiger hatte sich gesetzt und blickte nickend zu den Kulissen. Ein Techniker mit einem Klemmbrett, auf dem irgendwelche Anweisungen standen, kam zu Bettini, berührte ihn am Ellenbogen und sagte: »Ihr Auftritt, Maestro.«
Wie ein Blitz traf Bettini die erschreckende Erkenntnis, dass er einen tadellosen Frack anhatte, ein blütenweißes, gestärktes Hemd, und dass das Ding in seiner Hand ein Taktstock war. Seit seiner Unterredung mit dem Innenminister hatte er nicht mehr eine so trockene Kehle gehabt. Seine Füße waren bleischwer, und er schaffte keinen Schritt, bis der Saaldiener ihn freundlich lächelnd, aber mit professioneller Bestimmtheit dazu aufforderte.
Und dann tat dieser Mann etwas Unerhörtes: Er schob Bettini sanft auf die Bühne, und kaum hatte er diese erreicht, standen die Musiker auf, und das Publikum klatschte für ihn.
Sich voll und ganz bewusst, dass er mit diesem Taktstock in seiner Hand nichts anzufangen wusste, war es ihm eine gewisse Erleichterung, dass er die sich anbahnende Katastrophe mit ausführlichem Sichverbeugen hinauszögern konnte. Der Applaus ebbte ab, bis er ganz verstummte, aber es dauerte nicht lange, und wieder brach brandender Applaus von diesen Tausenden von Zuhörern los, die nun alle ihr Gesicht zur linken Seite der Bühne hin wendeten. Bettini lenkte seinen Blick ebenfalls dorthin und glaubte, einen Albtraum im Albtraum zu träumen, als er erkannte, dass die eintretende Person, die auf dem Podium vor ihm den Platz des Solisten einnahm, niemand anderes war als Señor Raúl Alarcón alias el Chiquitito alias Florcita Motuda.
Der kleine Mann schien, anders als Bettini, gar keine Angst zu haben und reichte ihm freudig die Hand. Der Maestro erwiderte seine Geste, und ohne zu wissen, wer wann dieses Drehbuch für ihn geschrieben hatte, riss er beide Arme hoch und entlockte mit einem Schlag aus dem Handgelenk dem Orchester die Anfangstakte des Nein-Walzers , Opus 1, von Strauß und Motuda.
Er hatte von Tuten und Blasen keine Ahnung, aber fuchtelte mit dem Taktstock herum, als handelte es sich um die Fünfte von Beethoven. Und nach einer langen Fermate nickte er seinem Solisten Raúl Alarcón zu, der nun mit stolzgeschwellter Brust die ersten Verse seiner Strauß-Vertextung anstimmte:
Man hört nun auch »Nein«, auch »Nein«
im ganzen Land »Nein«, »Nein«, »Nein«, »Nein«,
»Nein«.
Und viel schneller als erwartet erhob sich ein Stimmenmeer aus Sopranen, Altstimmen, Baritonen, Bässen, Tenören und schmetterte die verfänglichen Verse in den Raum:
Nein, nein, nein, nein, nein.
Nein, nein, nein, nein …
Der prächtige Kristalllüster fing durch die Vibration an zu klirren und warf gleich einem magischen Karussell das Funkeln des Schmucks der im Parkett sitzenden Damen zurück.
Bettini spürte, wie der Taktstock in seinen schwitzigen Händen zu rutschen begann, sogar der gestärkte Kragen war durchtränkt von Schweiß, und die dicken Tropfen verschleierten ihm den Blick.
Gleich hatte er es geschafft.
Noch ein Schlag. Nur noch die dröhnenden Baritone, die das »Nein« zu seinem feierlichen Abschluss bringen würden, bevor die Soprane aufsteigen würden wie ein Feuerwerk, und dann war das Ende da – endlich –, und der Applaus brandete los, und Bettini wusste, dass er sich umdrehen und verbeugen musste, aber daran hinderte ihn ein erneuter verstörender Umstand: Die mächtigen Stimmen des Chors hatten das Dach des Theaters durchbohrt, das nun nach oben offen war, sodass von dem leuchtend türkisblauen Himmel ein Regenbogen in unendlich vielen Farben hereinfiel und sie nicht anders konnten, als auf die Knie zu fallen, um zu diesem Gott zu beten, der ihnen hier an dieser Stelle erschienen war.
Er nahm wahr, wie man ihm die Hand schüttelte und ihn umarmte.
Dann öffnete er die Augen, und hinter dem farbenfrohen Schleier der letzten Szene seines Traums kam seine Frau zum Vorschein,
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