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Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Titel: Die Tage des Regenbogens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Skármeta
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seiner Schwester zu fahren. Sobald der Mann abgereist ist, machen sich die Hausherrin und ihr Dienstmädchen für ein Stelldichein mit ihren Liebhabern bereit, das sind der Barbier und der Kirchendiener des Dorfs.
    Ich spiele den Kirchendiener.
    Die Mitschülerin, die für die Kostüme verantwortlich ist, hat mir einen roten Kittel verpasst und mir ein paar Medaillons um den Hals gehängt. Wenn das Techtelmechtel mit der Hausherrin und dem Dienstmädchen gerade so richtig schön in Gang kommt, kehrt der Ehemann heim, und der Untermieter, ein Student aus Salamanca, macht dem betrogenen Ehemann weis, dass der Barbier und ich nur Erscheinungen sind. Der gehörnte Ehemann gibt sich mit dem faulen Zauber zufrieden, und alles endet in einem Trinkgelage. Zur Premiere erwarten wir den Rektor, die gesamte Lehrerschaft und Leutnant Bruna, der für unser Schule zuständig ist. Er sieht es gern, wenn wir Schüler neben dem Unterricht bei Theatergruppen und anderen kulturellen Aktivitäten mitmachen, weil uns das von politischen Verirrungen fernhält.
    Allerdings weiß Leutnant Bruno nicht, dass, sobald der Pförtner nach Hause gegangen ist, Die Höhle von Salamanca von der Bühne verschwindet und zwei Berufsschauspieler auftreten, die mit Señor Paredes ein »unbequemes« Werk des argentinischen Dramatikers Tato Pavlovsky proben mit dem Titel El Señor Galíndez . Das ist von anderem Kaliber. Es handelt von zwei Folterknechten, die, während sie auf die neuen politischen Gefangenen warten, zwei Prostituierte foltern, die ihnen ihr Vorgesetzter geschickt hat, der Señor Galíndez.
    Che Barrios hat uns Pavlovskys Text, versteckt zwischen den Seiten von Stevensons Schatzinsel , mitgebracht.
    Darum meint Vater, Paredes müsse schleunigst nach Portugal. El Señor Galíndez wird zwar nur heimlich und auf improvisierten Bühnen zur Aufführung kommen, aber gewispert wird überall, und irgendwann wird ihn jemand verpfeifen.
    Nicht selten erhalten Schauspieler Morddrohungen. Letzte Woche feierte der beliebte Julio Junger Geburtstag, und ein Bote brachte ihm als Geschenk einen Beerdigungskranz. Junger und Señor Paredes sind vor ein paar Jahren zusammen in einem Stück von Harold Pinter aufgetreten mit dem Titel Der Hausmeister .
    Mit meiner Rolle als lüsterner Kirchendiener bin ich auf der sicheren Seite. Andererseits weiß man nie, letzte Woche erst hat der Erziehungsminister ein Stück von Plautus verboten, das vor über zweitausend Jahren geschrieben wurde, er fand es obrigkeitsbeleidigend. Klar, das Stück heißt Der prahlerische Soldat . Wahrscheinlich empfand Pinochet es als Seitenhieb.
    Ich würde lieber in El Señor Galíndez mitspielen als in Die Höhle von Salamanca , aber wenn Papa davon erführe, würde er tausend Tode sterben. Außerdem treten in dem Stück zwei hochrangige Schauspieler auf, die in keiner Fernsehserie auftreten dürfen. Das Fernsehen gehört Pinochet. Wenn schon jemand auftritt, der kein Pinochet-Anhänger ist, dann nur in Handschellen und als Terrorist geschmäht.
    Patricia Bettini will weg aus Chile, sobald sie mit der Schule fertig ist. Sie sagt, diesem Land ist nicht zu helfen. Ich würde auch weggehen, aber ich kann meinen Vater doch nicht alleinlassen.
    Er hat niemanden. Ich vermisse ihn sehr.
    Wenn das Land weiter in seiner Starre verharrt, wird Chile unter Pinochet verkümmern. Vor ein paar Monaten wurde ein Anschlag auf ihn verübt, auf das fahrende Auto, in dem er saß, wurden Schüsse abgefeuert. Natürlich blieb er unversehrt. Am Abend trat Pinochet im Fernsehen auf, er zeigte die Einschläge auf der Scheibe und sagte, es sei ein Wunder, dass er noch lebe. Der Beweis: Die Einschüsse würden das Gesicht der Jungfrau Maria abbilden. Wen überrascht es da, dass er jetzt die Absolution durch den Papst anstrebt.
    Die Schüsse haben die Militärs nervös gemacht. Sie sind danach auf die Straßen geströmt und haben willkürlich Leute umgebracht. Ich glaube nicht, dass Papa damit etwas zu tun hat. Er ist Pazifist. Er sagt, Gewalt bringe nur mehr Gewalt hervor. Ich weiß nicht. Was ich in der Schule gelernt habe, spricht dafür, dass Gewaltausbrüche die Welt voranbringen: der Sklavenaufstand, die Französische Revolution, der Krieg gegen die Nazis. Aber Chile ist ein so kleines Land.
    Wen kümmert es schon, was bei uns geschieht.
    Wenn Patricia Bettini aus Chile flieht, habe ich keine Lust mehr weiterzuleben. Sie geht auf die Scuola Italiana, ich auf die Nacional. Señor Paredes haben wir beide als

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