Die Tallinn-Verschwörung - Thriller
dämmerte nun, dass der Zug unter Umständen ohne ihn und seine Familie abfahren könnte, und zupfte seine Angetraute am Ärmel. »Diese Leute sind es doch gar nicht wert, dass man sich ihretwegen ärgert. Komm, es gibt sicher noch andere leere Abteile in diesem Zug!«
»Hoffentlich. So wie die sich benehmen, geraten sie sonst mit Sicherheit noch mit anderen Reisenden aneinander.« Der Schaffner wechselte einen beredten Blick mit Torsten, der die Frau längst losgelassen hatte und nun zuvorkommend begann, die Unmenge an Koffern und Reisetaschen, welche die Familie bei sich hatte, auf den Gang hinaus zu stellen.
Der Schaffner wartete, bis die Dicke samt ihrem Anhang das Abteil geräumt hatte. Draußen verlangte er dann die Fahrkarte von ihr.
»Da ist sie!« Die Frau hielt ihm schnaubend die Scheine hin und musste sich ein weiteres Mal anranzen lassen.
»Das sind Fahrkarten der zweiten Klasse. Hier aber ist die erste Klasse! Sie müssen in den übernächsten Waggon und
zusehen, ob Sie da noch einen Sitzplatz ergattern können. Dort ist es nämlich schon voll!«
Petra kicherte amüsiert, während Torsten das Gepäck verstaute und bereits über seine nächsten Schritte nachdachte.
ACHT
T orsten und seine Begleiterinnen erreichten Wien am frühen Abend, ohne von der aufdringlichen Familie noch einmal etwas zu sehen oder zu hören. Da er schon einige Male in der Stadt gewesen war, führte er Graziella und Petra in ein Lokal, in dem man ausgezeichnet essen konnte. Danach brachte er sie in das Hotel und brach selbst noch einmal auf. Die fragenden Blicke der beiden Frauen ignorierte er. Als er jedoch sah, dass Graziella ihm folgen wollte, hob er abwehrend die Hand.
»Sorry, aber es ist besser, du bleibst hier. Dort, wo ich nun hingehe, sollte sich eine Frau wie du nicht sehen lassen.«
»Und wohin gehst du?« Es klang eifersüchtig und ließ Torsten bedauern, Graziella mitgenommen zu haben.
»Ich muss noch etwas Geschäftliches erledigen. Meine Garderobe ist nämlich noch nicht vollständig.« Er klopfte dabei mit der Hand gegen die linke Brustseite.
Petra begriff, dass er damit ein Schulterhalfter andeuten wollte, während Graziella glaubte, es hätte etwas mit dem Herzen, also mit Amore zu tun. Bevor sie jedoch Dummheiten machen konnte, packte Petra sie und zog sie in ihr Zimmer.
»Pscht! Torsten will sich doch nur eine neue Artillerie besorgen! «
»Jetzt, mitten in der Nacht?«, fragte Graziella misstrauisch.
Sie wusste selbst nicht, weshalb sie so zickig reagierte, denn sie wollte doch gar nichts von diesem stocksteifen Deutschen, der eine Frau nicht einmal dann bemerken würde, wenn sie vollkommen nackt vor ihm stünde.
»In unserer jetzigen Situation kann Torsten es sich nicht leisten, eine Pistole in einem Waffengeschäft zu kaufen, sondern muss zusehen, dass er sie unter der Hand bekommt. Das geht nun einmal am besten in der Nacht.«
»Du meinst, es ist wirklich nur das?« Graziella schämte sich wegen ihres Ausbruchs, und sie nahm sich vor, sich bei Torsten zu entschuldigen. Allerdings nur dann, wenn er wirklich eine Waffe vorweisen konnte. Sie fragte sich jedoch, wie er eine Pistole nach Tallinn schmuggeln wollte. Die Sicherheitsvorschriften waren strikt, und wenn er Pech hatte, landete er gerade deswegen hinter Gittern.
»Ist es nicht unverantwortlich, so ein Risiko einzugehen?«, fragte sie Petra.
Diese zuckte mit den Achseln. »Du musst Leute von Torstens Schlag verstehen. Die kommen sich ohne Kanone nackt vor. Er kann nicht anders.«
»Ich hoffe, er bringt uns damit nicht in Teufels Küche.« Graziella sagte sich, dass sie erst dann aufatmen würde, wenn sie die Flughafenkontrollen von Tallinn hinter sich gebracht hatten.
NEUN
T orsten wusste, dass es nicht ungefährlich war, gegen Mitternacht in einschlägigen Lokalen aufzutauchen, aber ihm blieb nichts anderes übrig. Zwei Kneipen erwiesen sich als Nieten. Zwar wurde er dort angesprochen, einmal von
einer Nutte, die ein paar Euro verdienen wollte, und einmal von einem Kleindealer, der unbedingt noch ein paar Tabletten an den Mann bringen wollte. Seinen phantasievollen Ausführungen nach sollten die Dinger selbst einen lahmen Wallach in einen tollen Hengst verwandeln können. Torsten ahnte, dass Graziella von diesem Gianni mit solchen Tabletten willfährig gemacht worden war, und er riet dem Mann mit eisiger Stimme zu verschwinden. Der zog sich erschrocken zurück. Die Hure im dritten Lokal war ein härterer Brocken, denn sie genierte sich
Weitere Kostenlose Bücher