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Die Tarnkappe

Die Tarnkappe

Titel: Die Tarnkappe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Orths
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Unvorstellbares. Es geschieht ständig etwas, das nicht geschehen soll, kann, darf. Angefangen mit dem Tod. Und wir suchen Erklärungen. Unser Denken ist von Geburt an kausalkettenverseucht. Wir sollten uns endlich abfinden. Mit dem, was geschieht. Eine Abfindung fürs Leben. Erklärungen sind die lächerlichsten Zwerge des Geistes. Nichts kann erklärt werden, höchstens beschrieben. Die Welt kann nicht erklärt werden, der Tod kann nicht erklärt werden, nicht das Leben. »Können deine Bücher mir sagen, was der Tod ist?«, fragt Alexis Sorbas in diesem Film mit der Musik von Mikis Theodorakis. »Nein?«, schreit er den Schriftsteller an. »Dann spuck ich auf deine Bücher!« Können mir deine Erklärungen sagen, was das Leben ist? Was die Welt? Der Sinn? Die Kappe? Nein? Dann spuck ich auf deine Erklärungen. Wichtig ist nur die Tatsache, dass etwas so ist, wie es ist. Das krankhafte Bemühen, uns immer neue Dinge auszudenken, um unser lächerliches Dasein zu belichten, ist nichts weiter als ein Deckel auf dem Topf der Angst, die überkocht, wenn Antwort fehlt. Das einzige, was jetzt noch zählt, ist die Kappe. Er, Simon, hat sie gefunden, in seinem Schrank. Basta. Und er wollte keinen Tag mehr ohne sie leben. Er würde alles tun, die Kappe zu verteidigen. Es war schlimm genug, dass er sie für so lange Zeit aus den Augen gelassen hatte. Er war fest entschlossen jetzt.
    »Lass uns gehen«, sagte er.
    Und Gregor nickte.
    Das schnellste Tier der Welt ist die Mini-Spinne Speedy, schneller noch als ein Gepard in Relation zur Körpergröße, dachte Simon und hatte keine Ahnung, woher dieser Gedanke kam, doch er erinnerte sich daran, wie er vor Tagen auf einer Bank gesessen und auf dem Boden die Mini-Spinne Speedy gesehen hatte, wie er sie nannte, die in irrem Tempo den Weg von seinen Füßen zur nächsten Bank zurücklegte, und die Mini-Spinne Speedy war so klein, dass er sie nicht richtig hatte sehen können, er konnte nicht mal mit Sicherheit sagen, dass es sich überhaupt um eine Spinne handelte, er sah keine Beine, keinen Körper, er sah nur ein Körnchen, einen abstrakten Punkt, und dieser Punkt rannte einfach von ihm weg, aber vielleicht war es auch nur ein Fleck in seinem Gesichtsfeld, mouches volantes , die im Innern des Auges ab und zu auftauchen, eine Trübung des Glaskörpers, mouches volantes , fliegende Fliegen, eine Fliege, ja, Simon hatte eine Fliege getötet, vor zwei Tagen, eine Fruchtfliege, Drosophila, er stand am Waschbecken, im Badezimmer, als die Fliege auftauchte, aus dem Abfluss, eine winzige Fruchtfliege, die ihm nichts getan hatte, und Simon schnippte den Zeigefingernagel auf die Fliege, die sofort in ihr Innenleben gequetscht wurde, kaum geschlüpft, schon verloren.

23
    D er Gang nach draußen hörte gar nicht mehr auf, und führt er überhaupt nach draußen oder immer nur tiefer ins Innere der Erde, was hat er vor, der Kerl? Doch dann die letzte Tür. Der Schacht nach oben. »Ich gehe als Erster!«, sagte Simon, und Gregor ließ ihm den Vortritt. Oben stieß Simon auf eine Luke aus Stahl, bog den Verschluss nach oben und stieg hinaus. Schwach im Licht des Monds: ein Wald. Immerhin wieder im Freien. Gregor folgte ihm, verschloss die Luke und bedeckte sie mit Laub. »Jetzt gehst du voran!«, sagte Simon, und Gregor nickte. Sie gelangten an einen abgelegenen Parkplatz, nur ein Auto stand dort, Gregor drückte den Schlüssel, Verriegelungsbolzen quakten auf, zugleich blitzten die Blinker, ein unauffälliger Golf, Simon setzte sich auf den Beifahrersitz und sah heimlich zu Gregor, ein Wahnsinniger, dachte er, Gregor, ein Mensch, eingeschlossen in seinem Labor, wie Carsten eingeschlossen in seinem Körper, wie ich selbst eingeschlossen war in meinem geregelten Leben, Zeitung falten, Zeitung lesen, Zeitung falten, und arbeiten, arbeiten, arbeiten, dann wieder Zeitung falten, Zeitung lesen, Zeitung falten, und Musik hören, Musik hören, Musik hören, und spazieren gehen, spazieren gehen, spazieren gehen, und Ziegel, Ziegel, Ziegel, warten, bis ein Ziegel fällt, und noch einer und noch einer, sie fallen vom Himmel, mit tönernen Leibern, die Ziegel regnen auf die Köpfe der Menschen, bis es keinen mehr gibt, den sie treffen können.
    In die Nacht fuhren sie, Autobahn, nur einmal hielten sie kurz an einer Raststätte, sie kauften etwas zu essen und zu trinken und Simon zwei Päckchen Zigaretten, die LKW s räkelten sich und tuckerten grunzend auf die Einfädelspur. Gregor redete jetzt

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