Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
diese kleine Gauklerin, ihre Gefühle und ihre seltsamen Andeutungen noch? Nichts als Unglück hat dir deine Zuneigung zu diesem Kind eingebracht, genau wie die Kartenleserei. Hatte Lunetta ihr nicht die Karte der Liebenden gezogen? Was für eine elende Täuschung! Der du in deiner gedankenlosen Eitelkeit nur allzu gerne geglaubt hast , meldete sich eine Stimme in ihr zu Wort. Sidonia biss sich auf die Lippen. War es eine solche Sünde, auf Liebe zu hoffen? Vielleicht keine Sünde, aber eine Dummheit!
Nachdenklich ging sie zu ihrem Bett zurück und fühlte unter ihren nackten Fußsohlen die Karte, die sie gestern hatte zu Boden fallen lassen. Erschöpft bückte sie sich danach und drehte sie um.
Sie schlug die Hand vor den Mund, als sie das nackte Paar wiedererkannte, das ihr bereits die Karte der Liebenden gezeigt hatte. Es war dasselbe Paar, bis auf wenige Unterschiede: Der Mann und die Frau trugen Hörner und brennende Schweife. Sie standen vor nachtschwarzem Hintergrund und waren mit einer Kette aneinandergeschmiedet. Über ihnen hob kein segnender Engel die Hände, sondern Satan. El diabolo war ihre Morgengabe, und Sidonias Verstand widersetzte sich genau wie ihre Gefühle allen Versuchen, dieser Karte eine freundliche Seite abzugewinnen. Allzu genau spiegelte sie wider, was ihre Seele sprach.
Nur ein Gedanke hielt sie aufrecht: Ihr Pakt mit dem Teufel, der ihr Bräutigam war, würde ihre Familie vor dem Untergang und Lambert vor einer Anklage als Ketzer bewahren.
23
Claas van Berck hatte die Nacht in seinem Kontor verbracht. Besorgt bemerkte die Magd Tringin die blauschwarzen Schatten unter den Augen des Schnarchenden und sah die leeren Weinkaraffen. Sie hob die Kontobücher und Briefe auf, die auf dem Boden verstreut lagen, eilte zu den bunten Glasfenstern und riss eines auf. Dann rüttelte sie den Kaufmann.
»Herr, wacht auf, wacht auf. Der Gewaltrichter und zwei Stadtsoldaten warten unten auf Euch! Ihr könnt sie unmöglich in Eurem Nachtmantel und in diesem Durcheinander empfangen.«
Stöhnend fuhr der Kaufmann hoch. Mit fahriger Geste strich er sich übers Haar und hielt sich den Kopf, als müsse er verhindern, dass er ihm vom Halse rollte.
»Tringin, schrei nicht so.« Benommen schaute er die Magd an, wunderte sich darüber, wie verschwommen ihre Gestalt war. Tringin reichte ihm einen Krug Bier. »Trinkt das, ich habe es eben aus dem Keller geholt, es ist kalt und frisch. Ich habe Brechwurz beigemischt, damit Ihr Euch erleichtern könnt.« Sie hielt ihm einen Eimer vor, wartete, bis der Kaufmann ein paar Züge getan hatte, kurz darauf würgte und sich mit einem Schwall erbrach.
»Hier ist Wasser, Herr, damit Ihr Euch waschen könnt, und eine frisch gebürstete Schaube, die mit dem Hermelinkragen. Schnell, schnell, ihr müsst einen würdigen Eindruck machen!«
Der Kaufmann wischte sich Gesicht und Mund mit einem nassen Tuch ab und ließ sich zurück in seinen Sessel fallen. Schmerzhaft erwachte sein Verstand. »Ach, Tringin, was sollte das noch nutzen! Mein Unglück lässt sich auch mit Pelzen nicht bemänteln. Ruf Lambert. Ich muss tun, was zu tun ist! Warum sollte ich dabei nicht so verzweifelt aussehen, wie ich mich fühle?«
Tringin schüttelte den Kopf. »Ihr müsst aussehen wie ein Sieger, nicht wie der Verlierer, den sie aus Euch machen wollen. Gönnt ihnen diesen Triumph nicht!«
»Sie werden keinen Grund haben zu triumphieren«, sagte eine ruhige Stimme von der Tür her. Tringin und ihr Herr wandten die Köpfe. Sidonia stand blass und ernst im Türrahmen. Sie trug ein reizloses Gewand aus dunklem Tuch und hatte ihre Haare unter einer schlichten Haube verborgen. Sie schloss die Tür und trat mit geradem Rücken vor den Schreibtisch des Kaufmanns. Tringin wollte den Raum verlassen, doch Sidonia hielt sie mit dem Arm zurück.
»Bleib nur, jeder darf hören, welches Glück unserem Haus bevorsteht. Der Ritter von Löwenstein wird mich zur Frau nehmen. Er will noch heute Morgen zu dir kommen, Vater, um die Zeremonie vollziehen zu lassen. Vielleicht wäre es gut, wenn du den Priester von Sankt Kolumba herbeirufen und einen deiner Faktoren zum Zeugen berufen würdest. Vielleicht gar den Gewaltrichter selbst? Er wartet doch unten.«
Claas van Berck kämpfte sich unter Mühen in seinem Stuhl vor. »Was redest du da? Wie soll das gehen? Wo ist der Graf? Wann ...« Bevor er die Liste seiner Fragen verlängern konnte, ertönte ein kurzes Klopfen.
Tringin eilte mit der Schaube herbei, legte sie
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