Die Tatarin
zurückkehrten, holte Wanja die Wodkaflasche und goss sich ein großes Glas ein. »Es ist nur wegen der Kälte, weißt du? Dann hole ich mir keinen Schnupfen! Willst du nicht doch einen Schluck?«
Schirin schüttelte lachend den Kopf. »Bleib mir bloß mit diesem Teufelszeug vom Leib. Um das zu vertragen, muss man wirklich ein Russe sein.«
Sie meinte es spöttisch, doch Wanja fasste es als Kompliment auf. »Wir Russen sind schon etwas Besonderes! Das heißt nicht, ich hätte etwas gegen euch Tataren! Immerhin seid auch ihr Untertanen von Väterchen Zar und steht uns damit näher als diese verdammten Ausländer, die teuflischen Schweden und das ganze Gesindel, das in ihrem Gefolge unsere Grenzen bedroht. Unser Väterchen Pjotr Alexejewitsch wird denen schon heimleuchten, sage ich dir. Mögen die Deutschen und die Franzosen den Schwedenkönig ruhig einen neuen Alexander nennen. Ihm steht ein russischer Zar gegenüber und kein heidnischer Perser.«
Da Schirin nicht verstand, auf wen er anspielte, hakte sie nach und bekam nach etlichen weitschweifigen Erklärungen heraus, dass er den Helden Iskender meinte, der lange vor Mohammed große Heldentaten vollbracht und viele Völker unterworfen hatte. Einen lebenden Menschen mit Iskender zu vergleichen, erschien ihr wie ein Sakrileg, und das sagte sie Wanja auch.
»Da hast du Recht, Söhnchen! So bedeutend ist dieser Schwedenlümmel ja wirklich nicht. Was hat der Kerl denn schon erreicht? Gut, er hat uns vor fast acht Jahren bei Narwa geschlagen und danach die Polen und Sachsen zu Paaren getrieben. Aber er konntenicht verhindern, dass unser Väterchen Pjotr Alexejewitsch sich Ingermanland zurückgeholt hat, das sein Vater, der brave Zar Alexej Michailowitsch, an die Schweden übergeben musste, und nun mittendrin seine Stadt Sankt Petersburg baut.«
Während der Unterhaltung war Sergej ins Haus getreten und hatte seine letzten Worte gehört. »Erteilst du Bahadur Unterricht in Geschichte, mein Guter?«
Wanja nickte eifrig. »Freilich, Sergej Wassiljewitsch! Er muss doch wissen, was es heißt, ein Russe zu sein, wenn er schon den Rock des Zaren trägt.«
»Da hast du freilich Recht! Du kannst übrigens gleich zum Magazin gehen und drei Mäntel für uns holen, besser sogar vier, denn wir wollen ja einen Burschen oder Diener einstellen.« Sergej zog ein Blatt Papier aus der Tasche, das mehrere Unterschriften und verschiedene Stempel aufwies, und reichte es seinem Wachtmeister. Der warf einen Blick darauf und krauste die Stirn. »Väterchen Hauptmann, Ihr habt vergessen, uns ein paar Fläschchen Wodka zuweisen zu lassen.«
»Dann sieh zu, ob du sie ohne Papiere bekommst!« Sergej klopfte ihm lachend auf die Schulter, blickte dabei aber Bahadur an. »Ich habe eben unseren Freund Stenka getroffen. Er hat uns zum Mittagessen eingeladen.«
V.
Es blieb nicht bei einem Mittagessen. Die jungen Offiziere verbrachten den ganzen Nachmittag im Palais Raskin, ließen sich die dort gereichten Leckerbissen schmecken und feierten die überstürzte Abreise des Zarewitschs und seiner hochnäsigen Garde mit Wodka und Wein.
Stepan Raskin hob sein Glas auf den Zaren und berichtete dann mit einem zufriedenen Lächeln, was ihm zugetragen worden war. »Wisst ihr schon, dass Alexej Petrowitsch keine zwanzig Werst von hier vom Schneesturm überrascht wurde? Da seine Kutsche keinen Schritt mehr weiterkam, musste Lopuchin den gesamten Weg bis Sankt Petersburg zurückreiten, um Väterchen Fjodor Apraxin um Schlittengespanne zu bitten.«
Sein Freund Semjon Tirenko schwenkte feixend die Hand, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. »Das habe ich auch gehört! Apraxin wollte ihm zunächst jede Hilfe verweigern, aber dann hat er doch etliche Schlitten losgeschickt, um dem Thronfolger aus der Klemme zu helfen. Er will ihn sich ja schließlich nicht zum Feind machen.«
Einer der jüngeren Offiziere, der auch aus einfachen Verhältnissen stammte, blickte Raskin lauernd an. »Wohin reist der Zarewitsch denn so eilig? Zu seinem Vater, der die Kanonengießereien beaufsichtigt, oder nach Westen an die Grenze, wo sich unser Hauptheer sammelt, um den Schweden den Weg nach Russland zu verlegen?«
Stepan Raskin schüttelte spöttisch den Kopf. »Weder noch! Der erlauchte Spross des Hauses Romanow ist auf dem Weg nach Moskau, um, wie er sagt, den Ausbau der Befestigungen zu überwachen, die sein Vater befohlen hat. Wenn ihr mich fragt, wird er in der Basiliuskathedrale auf den Knien rutschen und Gott
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