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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Schirin nickte im Takt mit dem Kopf und begann zu singen. Diesmal begleitete der junge Offizier sie jedoch nur mit der Balalaika und ließ sie dabei nicht aus den Augen. Als sie zum Refrain kam, donnerte ein vielstimmiges »Stenka Rasin!« durch den Saal und erschreckte sie so sehr, dass sie verstummte.
    Raskin warf die Arme hoch. »Sing weiter, Bahadur!«
    Sie gehorchte, auch wenn ihre Stimme zunächst noch zitterte, und spürte, wie sie von Ton zu Ton sicherer wurde, so dass sie beim nächsten Refrain sogar die anderen übertönte. Als die Ballade von Stenka Rasin, dem Kosakenrebellen, zu Ende war, klang frenetischer Jubel auf, und dann kreisten die Wodkaflaschen. Keiner machte sich mehr die Mühe, ein Glas zu füllen, und irgendjemand drückte auch Schirin eine Flasche in die Hand.
    »Trink, Bahadur, trink«, skandierten die Männer um sie herum. Da sie inzwischen die nach einigen Gläsern Wodka leicht erregbaren Gemüter der Russen kennen gelernt hatte, setzte sie die Flasche an und tat so, als würde sie einen Schluck zu sich nehmen. Ein wenig der scharfen Flüssigkeit rann ihr auch in die Kehle und reizte sie zum Husten.
    Die anderen lachten auf, aber es lag nur freundschaftlicher Spott in ihren Stimmen. Sie klopften Bahadur auf die Schultern, priesen seine Stimme und versicherten ihm, wie sehr sie sich freuten, ihn in ihrer Mitte zu haben.
    Stepan Raskin schwenkte übermütig seine Flasche. »Bahadur ist ein Gewinn für unsere Runde, ganz im Gegensatz zu diesen aufgeblasenen Gardewichten Schischkin und Kirilin. Der Heiligen Jungfrau von Kasan sei Dank, dass der Zarewitsch uns mit seiner Abreise von diesen Kerlen erlöst hat.«
    »Einen Trinkspruch auf die Gesundheit des Zarewitschs!«, rief einer, und erneut machte die Wodkaflasche die Runde. Diesmal gelang es Schirin besser, einen tiefen Schluck vorzutäuschen, und sie vermochte sogar, ein wenig Wodka zu verschütten, damit ihre Flasche etwas leerer wurde. Ihr Gastgeber ließ sich einen Fingerbreit des Flascheninhalts in die Kehle laufen und lächelte seine Kameraden dann auffordernd an.
    »Heute haben wir wohl einen doppelten Grund zum Feiern. Zum einen ist es ein schöner Tag, und wer weiß, wann wir wieder so fröhlich beisammen sein können, und zum anderen sind wir das Gesindel los, das um den Zarewitsch kriecht.«
    Sergej starrte ihn verständnislos an. »Aber das feiern wir doch schon die ganze Zeit.«
    »Hier zusammensitzen und uns ein Glas Wodka nach dem anderen genehmigen nenne ich nicht richtig feiern. Dazu gehört schon mehr, Weiber zum Beispiel!« Raskins Augen glitzerten voller Vorfreude, und einige seiner Kameraden stimmten ihm lautstark zu.
    »Ja, lass uns mit ein paar Weibern weiterfeiern! Wer weiß, wann wir wieder die Gelegenheit dazu haben.«
    »Manch einer vielleicht nie mehr, wenn die Schweden ihn etwas zu heftig zur Ader lassen! Los, Stepan, sei kein Frosch, lass ein paar hübsche Mädchen kommen.« Tirenko kniete theatralisch vor Raskin nieder und blickte mit bettelnden Augen zu ihm auf.
    Raskin grinste auf ihn herab. »Ich hatte eher an Madame Reveilles Salon gedacht.«
    Die meisten johlten begeistert auf, einige aber zogen lange Gesichter. Madame Reveille führte eines der vornehmsten Bordelle in ganz Sankt Petersburg und zählte Fürst Apraxin und die Herren seinesStabes zu ihren regelmäßigen Besuchern. Auch der Zar scheute sich nicht, sich das eine oder andere hübsche Mädchen dort auszusuchen, wenn er ohne die Begleitung Mamuschka Jekaterinas in Sankt Petersburg weilte. Daher waren die Preise für einen Mann, der auf seinen meist verspätet und nur teilweise ausbezahlten Sold angewiesen war, schier unerschwinglich. Sergej rechnete kurz nach und kam zu dem Schluss, dass ihn ein Mädchen in Madames Salon nicht nur seiner gesamten Reserven berauben, sondern ihn auch zwingen würde, einen seiner Kameraden um Kredit anzugehen. Er öffnete schon den Mund, um seine Teilnahme an dem Ausflug abzulehnen, als sein Blick auf Bahadur fiel und er sich wieder mit den unnatürlichen Gefühlen konfrontiert sah, die dieser in ihm auslöste.
    Du hast zu lange keine Frau mehr besessen, versuchte er sich selbst zu überzeugen, sonst würde dir nicht sogar beim Anblick eines hübschen Burschen warm in der Hose. Was soll der Geiz? Geh mit! Was nützt dir dein Geld, wenn dir morgen ein Schwede den Schädel spaltet und es dir abnimmt?
    Als Sergej zu diesem Schluss gekommen war, lachte er schrill und gekünstelt auf, umarmte Raskin und nannte ihn einen

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