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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Petrowitschs und seiner Garde kaum etwas. Schirin, Sergej und Wanja teilten weiterhin ihr Quartier mit den Pferden und schlugen sich mit den kleinen Widrigkeiten des Alltags herum. In der Nacht nach der Abreise des Zarewitschs fiel der Schnee wie eine weiße Wand vom Himmel, und als Wanja am Morgen die Tür öffnete und hinaussah, stöhnte er auf. Solange Sergej keinen Burschen besaß, oblag es ihm, den Weg frei zu räumen, und so nahm er die primitive Holzschaufel, die eigentlich dazu gedacht war, die Pferdeäpfel zu beseitigen, und begann gegen die Schneemassen anzukämpfen, als wären sie sein Feind. Nach wenigen Augenblicken steckte er den Kopf durch die Tür. »Söhnchen, wärst du so gut, inzwischen dasFeuer zu schüren? Ich habe uns gestern ein paar Eier besorgt, die uns bei diesem Wetter besonders gut schmecken werden.«
    Schirin trat zur Feuerstelle, schob mit einem Stück Holz die Asche beiseite und blies leicht in die Glut. Dann legte sie eine Hand voll trockenen Strohs und etwas Reisig darauf und blies weiter, bis die ersten Flammen hochzüngelten. Nachdem sie ein paar Scheite aufgeschichtet hatte, so dass das Feuer weiter Nahrung fand, stellte sie die schwere Eisenpfanne auf den Dreifuß und schob diesen über das Feuer.
    Sergej wunderte sich ein wenig über Bahadurs Geschicklichkeit. »Kann ich dir helfen?«
    »Du solltest lieber Wanja beim Schneeschaufeln ablösen. Ich komme allein zurecht.« Ihr Lächeln signalisierte, dass Sergej diese Worte nicht als Abfuhr auffassen sollte.
    Er trat ans Fenster und sah seinem Wachtmeister zu, der mit verbissener Miene den Weg frei räumte. Da Wanja beinahe fertig war, sah er keinen Grund, ihm in die Kälte hinaus zu folgen, und schlenderte zu den Pferden. Um nicht tatenlos herumzustehen, schöpfte er etwas von dem gehäckselten Hafer, den ihnen die hiesige Garnison als Futter zur Verfügung gestellt hatte, in einen Eimer und schüttete ihn den Tieren vor. Gerade, als er fertig war, kam Wanja herein, stampfte, um den Schnee von Stiefeln und Kleidung loszuwerden, und sog genießerisch den Duft der brutzelnden Spiegeleier ein.
    »So mag ich sie!«, lobte er Bahadur und holte drei Holzteller von dem selbst gefertigten Regal an der Wand. Dabei gerieten ihm zwei Gläser in die Hände und fanden ihren Platz auf dem Tisch. »Ihr habt doch nichts gegen ein Schlückchen Wodka an einem so kalten Morgen, Sergej Wassiljewitsch?«
    Sergej schüttelte lachend den Kopf. »Gewiss nicht.« Während er die Wodkaflasche auf den Tisch stellte, wiegte Schirin etwas besorgt den Kopf.
    »Die Kälte bereitet mir Sorgen. Ich bin nicht darauf eingerichtet. Meine Kleidung ist zu dünn für diese Jahreszeit.«
    »Keine Sorge, Söhnchen, du bekommst ja bald deine Uniformen«, versuchte Wanja sie zwischen zwei rasch hintereinander getrunkenen Gläsern Wodka zu beruhigen.
    Sergej schüttelte energisch den Kopf. »Die schützen nicht gegen einen richtigen russischen Winter. Bahadur benötigt einen warmen russischen Pelzmantel – und wir auch, denn die unsrigen sind schon zu abgeschabt. Ich werde gleich nach dem Frühstück ins Magazin hinübergehen und zusehen, ob ich eine Zuteilung bekomme. Es ist ja schließlich nicht der erste Winter, der hier über das Land zieht.«
    »Besorgst du uns auch einen neuen Burschen, der die kleinen Arbeiten verrichten kann, die uns nur stören, Väterchen Hauptmann?« Wanja brachte Sergej mit seinem treuherzigen Blick zum Lachen.
    »Du meinst jemand, der statt deiner den Schnee beiseite räumt! Ich werde sehen, was ich tun kann, mein Guter.«
    Wanja atmete sichtlich auf und gönnte sich ein drittes Glas Wodka.
    Schirin, die seit ihrem starken Rausch den Schnaps noch mehr verabscheute, musterte ihn besorgt. »Glaubst du nicht, dass du zu viel trinkst?«
    Wanja warf ihr einen Blick zu, als hätte sie eben an seinem Menschsein gezweifelt. »Söhnchen, es ist doch erst das dritte Glas an diesem Morgen. Mein Freund, der Grischa Lawritsch, steht nie unter fünf Gläser vom Tisch auf. Wodka, musst du wissen, ist das wahre Frühstück der Russen.«
    »Deswegen schenkst du dir das vierte Glas voll. Halte dich lieber an deine Spiegeleier! Die sind mehr wert als der verdammte Schnaps.«
    Wanja zog den Kopf ein. »Söhnchen, du verstehst das nicht, weil du kein Russe bist!«
    Zu seinem nicht geringen Schrecken stellte sich Sergej auf Bahadurs Seite und nahm ihm kurzerhand die Wodkaflasche ab. »Ein Glas am Morgen ist gut und schön, aber mehr sollten es wirklich nicht sein.

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