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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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wünschte, der andere Tatar wäre nie aufgetaucht. Damit tat er Kitzaq, der sich als umsichtiger Anführer erwiesen hatte und auch in kritischen Situationen wie in dieser Nacht die Übersicht behielt, bitter Unrecht. Er war es nämlich gewesen, der die drei letzten Schweden den vor Zorn rasenden Kalmücken abgenommen hatte.
    Sergej schüttelte die düsteren Gedanken ab und konzentrierte sich auf seine Pflichten. Die drei Gefangenen trugen keine Uniform, sondern die ebenso bequeme wie strapazierfähige Lederkleidung von Jägern, die sich lange in der Wildnis aufhalten mussten. Ihre Mienen wirkten trotzig, und doch roch Sergej ihre Angst. »Wer seid ihr und wer hat euch geschickt?«
    Einer der Verwundeten spuckte vor ihm auf den Boden. »Fahr zur Hölle, Russe, und nimm deinen verdammten Zaren gleich mit!«
    Sergej ließ sich nicht provozieren, sondern wiederholte seine Frage. »Russisches Schwein! Du wirst für die Untaten bezahlen, die du mit deinen räudigen Steppenhunden begangen hast!«, schimpfte der Mann weiter.
    Einige der Kalmücken wurden unruhig, und Sergej spürte, dass seine Autorität nach diesem unerwarteten Überfall ins Wanken geraten war. Er dreht sich zu Kang um. »Bring den Kerl zum Sprechen!« Der Kalmücke nickte zufrieden. Die Feinde hatten neben den drei Wachen ein gutes Dutzend seiner Stammesgenossen umgebracht, und er nahm sich vor, diesen Gefangenen dafür bezahlen zu lassen. Nach einer Stunde war der Gefolterte tot, Sergej aber hatte das meiste von dem, was er wissen wollte, in Erfahrung gebracht. Die Leute, die ihr Lager überfallen hatten, waren keine Schweden, sondern finnische Karelier gewesen, die Lybeckers Truppen als Führer dienten und die sich für die Überfälle auf ihre Heimatdörfer hatten rächen wollen. Der Gefangene hatte die Zahl der schwedischen und finnischen Soldaten, aus denen General Lybeckers Armee bestand, nicht genau nennen können, doch es mussten etwa dreißigtausend Mann sein, allesamt hervorragend ausgerüstet, und er hatte auch den Tross, der aus einer großen Zahl an Bagagewagen und Belagerungskanonen bestand, recht genau beschrieben. Die Wagen und die Kanonen waren Lybeckers größtes Problem, denn der Untergrund war nicht geeignet, solche Lasten zu tragen. Deswegen ließ er sein Heer auf jenen Bohlenwegen marschieren, die die schwedischen Pioniere täglich weiterbauten, und da er plante, auch im russischbesetzten Ingermanland auf diese Art vorzurücken, führte er zu diesem Zweck mehrere hundert Karren mit vorgefertigten Bohlen und Pfählen sowie an die tausend Pioniere mit sich. Der hölzerne Weg war im letzten Herbst bis in das russische Grenzland fertig gestellt worden, und daher würden die schwedischen Pioniere, wenn sie ungestört arbeiten konnten, General Lybecker innerhalb einer Woche bis Sankt Petersburg bringen.
    Sergej wusste, dass er schnell handeln musste, wenn er Fürst Apraxins Vertrauen nicht enttäuschen wollte. Nach einem letzten Blick auf den toten Finnen wandte er sich den beiden letzten Gefangenen zu. »Ihr werdet meinen Trupp führen und uns eine Stelle zeigen, von der aus wir eure Pioniere angreifen können.«
    »Davon träumst du wohl!«, spottete der Verletzte, während sein Kamerad ängstlich den Kopf zwischen die Schultern zog.
    Sergej trat auf ihn zu und fasste ihn am Kinn. »Ihr werdet es tun, oder ich überlasse euch meinen Steppenkriegern!«
    »Du bist ein russisches Schwein, das tollwütige Hunde anführt!« Der Finne spitzte den Mund, um Sergej anzuspucken, doch bevor er dazu kam, fuhr ihm der Dolch eines Kalmücken durch die Kehle. Sergej hob schon die Hand, um den Asiaten niederzuschlagen, bemerkte aber gleichzeitig die schreckgeweiteten Augen des überlebenden Finnen und lächelte grimmig. »Wie heißt du?«
    »Paavo«, antwortete dieser wimmernd.
    Sergej übersetzte den Namen ins Russische. »Also Pawel! Nun höre mir gut zu, Pawel. Wenn du diesen Krieg überleben willst, wirst du genau das tun, was ich von dir forderte, verstanden? Sonst werden meine Leute ihren Spaß mit dir haben.«
    Der Finne streifte die Steppenreiter mit einem Blick, als hätte er Teufel und Dämonen vor sich, und nickte zögernd.
    Sergej klopfte ihm lächelnd auf die Schulter. »Gut so, Pawel. Ruh dich noch ein wenig aus, denn wir werden bald aufbrechen.«

III.
    Als Sergej den Befehl zum Aufbruch gab, bezeichnete nur noch ein Haufen frisch aufgeschütteter, schlammiger Erde die Stelle, an der fast dreißig Finnen und zwanzig Steppenkrieger ihr Grab

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