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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Ischmet und Kitzaq die Wachen eingeteilt hatten, legten die Männer sich unter Scherzen und Anspielungen schlafen.
    Schirin hüllte sich in ihre Decke, legte sich wie gewohnt zwischen Sergej und Wanja und lauschte dem Geschwätz des Wachtmeisters, der versuchte, seinen immer noch schlecht gelaunten Hauptmann aufzumuntern.
    Sergej antwortete ihm nur mit einem »Gute Nacht«, das mehr wie »Halt endlich den Mund!«, klang.
    »Gute Nacht, Sergej Wassiljewitsch! Gute Nacht, Bahadur!« Wanja reckte sich wohlig und fiel rasch in einen tiefen Schlaf, ohne sich durch sein eigenes, lautes Schnarchen stören zu lassen.
    Trotz des Lärms, den auch andere Schläfer um sie herum machten, war es Schirin sonst immer gelungen, rasch einzuschlafen, doch an diesem Tag blieb sie noch eine ganze Weile wach. Sie bemerkte, dass es Sergej nicht anders erging, und unterdrückte den Wunsch, mit ihm zu reden. Wahrscheinlich denkt er an die Schweden und den Kampf, den er ihnen liefern will, dachte sie und fühlte, wie ihre Lider allmählich schwer wurden.

II.
    Schirin wachte durch Goldfells warnendes Schnauben auf und blickte unwillkürlich zum Himmel. Nur wenige Sterne spähten durch Lücken in der Wolkendecke auf das schlafende Land, und es war so dunkel, dass man kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Sie nahm Sergej gerade noch als konturlosen Schatten wahr, und Wanja verriet nur durch sein regelmäßiges Schnarchen, wo er schlief. Alles schien in Ordnung zu sein, und doch sagte ihr Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Sie versuchte die Bewegungen der Wachtposten auszumachen, konnte jedoch nichts wahrnehmen, nicht einmal ihre Schritte. Dafür schob sich plötzlich ein Schatten vor einen der tiefer stehenden Sterne. Das musste ein Mensch sein, der durch das Lager schlich und genau auf die Stelle zukam, an der Sergej schlief.
    Das war kein Freund, dessen war Schirin sich sicher, und für einen Moment war sie ratlos. Selbst wenn sie laut und gellend schrie, würde Sergej nicht mehr rasch genug reagieren können. Sie wollte schon zum Säbel greifen, um ihren Hauptmann mit einer wahrscheinlich nutzlosen Geste zu verteidigen, als ihre Hand den Knauf der Pistole streifte. Da der Trupp am vergangenen Tag dem schwedischen Heer beinahe bis auf Rufweite nahe gekommen war, hatte sie die geladene Waffe abends in ihren Mantel gehüllt, damit das Pulver nicht feucht wurde. Sie hob die Pistole, spannte den Hahn und drückte ab. Das Pulver am Zündloch brannte zischend an – dann knallte der Schuss.
    Im Mündungsfeuer sah sie, dass der Fremde stehen blieb, als sei er gegen eine Wand gelaufen, vernahm einen gurgelnden Laut und hörte, wie er zu Boden stürzte. Irgendjemand stieß einen fremdländisch klingenden Fluch aus, dann wurde es im Lager schlagartig lebendig.Sergej sprang auf, und ehe er überhaupt wusste, was geschehen war, brüllte er: »Brennt die Feuer an, rasch!«
    Kitzaq war als Erster an einem der Lagerfeuer, deckte die Glut ab und warf trockenes Laub und Reisig darauf. Das Feuer schien zu erlöschen, aber dann gewann es an Kraft und erhellte die Umgebung. Kurz darauf brannten weitere Feuer, und nun wurden gut dreißig Mann sichtbar, die sich ins Lager geschlichen und neben den Wachen bereits einige Schläfer niedergemacht hatten. Einige von ihnen versuchten noch zu fliehen, doch die Kalmücken und Baschkiren fielen heulend vor Wut über sie her. Sergej brüllte seine Männer an, sie sollten gefälligst ein paar der Eindringlinge am Leben lassen, und tatsächlich schien es ihm zu gelingen, einige seiner Leute zur Vernunft zu bringen, denn man brachte ihm drei Überlebende, zwei Verwundete und einen, der vor Angst halb wahnsinnig zu sein schien.
    Sergej warf dem Toten, der keine zwei Schritt vor seiner Lagerstätte am Boden lag, einen kurzen Blick zu und schenkte Bahadur ein arg missratenes Lächeln. »Du hast eben nicht nur mein Leben, sondern das etlicher unserer Leute gerettet.«
    Schirin starrte auf den Mann, den ihre Kugel gefällt hatte, und kämpfte gegen die nachträgliche Angst, die ihre Arme und Beine zittern ließ. »Du hast mir auf der Sankt Nikofem das Leben gerettet. Damit sind wir quitt.«
    Da sie ihre Stimme hatte fest klingen lassen wollen, kamen die Worte schroffer heraus, als sie beabsichtigt hatte.
    Bahadur scheint froh zu sein, seine Blutschuld bei mir beglichen zu haben, dachte Sergej und wandte sich gekränkt ab. Seit der Junge sich seinem Stammesgenossen angeschlossen hatte, war er wie umgewandelt, und Sergej

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