Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
Vom Netzwerk:
zweiten mit dem Säbel, doch dann hatte selbst der Hauptmann keine Chance mehr, ihr zu helfen – falls er überhaupt einschreiten würde, denn seit sie von Krapiwno aufgebrochen waren, benahm er sich ihr gegenüber kurz angebunden und schroff und nannte sie nur noch einen verdammten Tataren.
    Als sie in die Büsche eindrang, blickte sie kurz zurück und sah, dass Kitzaq sein Pferd neben Goldfell angehalten hatte und die anderen Reiter gestenreich vorwärts trieb. Nicht zum ersten Mal dankte sie ihm innerlich, denn ohne seine Hilfe wäre es ihr nicht möglich gewesen, auf diesem Feldzug ihr Geheimnis zu wahren. An manchen Tagen fragte sie sich jedoch, welchen Preis er eines Tages dafür fordern würde. Bis jetzt hatte er sich damit zufrieden gegeben, seine Satteltaschen zu füllen, so als plane er, als reicher Mann in die heimatliche Steppe zurückzukehren. Schirin aber vermutete, er könne etwas anderes im Sinn haben. Zwar gebot seine Ehre ihm, sich an ihrem Vater und seiner Schwester zu rächen, doch die Reise nach Westen hatte ihm gezeigt, dass das Leben noch andere Möglichkeiten bereithielt als Jurten und Ziegen. Andererseits würde er genau wie sie selbst hier im Westen ein ungeliebter Fremdling bleiben. Angesichtsder Gräuel, die sie erlebt hatte, wünschte Schirin, die schon geglaubt hatte, sich an das Leben unter Russen gewöhnen zu können, eine Niederlage des Zaren herbei, um als Botin der neu errungenen Freiheit zu ihrem Stamm zurückkehren zu können.
    Ein leises Pfeifen riss sie aus ihren Gedanken. Sie blickte sich um und sah, dass Kitzaq sie auf einen der Reiter aufmerksam gemacht hatte, der sich ebenfalls erleichtern wollte. Sie drang noch etwas tiefer in die Büsche ein, zog die Hose herunter und quetschte ihre Blase so schnell aus, wie sie es vermochte. Während sie sich wieder anzog und zu ihrem Pferd zurückkehrte, dachte sie daran, dass bald wieder die Zeit ihrer Mondtage anbrechen würde. Die beiden letzten Male war der Blutfluss ausgeblieben, so dass sie sich keine Gedanken hatte machen müssen, wie sie das blutdurchtränkte Moos beseitigen sollte, aber nun spannte ihr Bauch so, dass sie sich schon mit frischem Moos und Baststreifen versorgt hatte. Vergraben durfte sie das blutgetränkte Zeug nachher nicht, denn wenn einer der Reiter sie durch Zufall entdeckte, würde sein Misstrauen geweckt werden, und sie in eines der Lagerfeuer zu werfen, war beinahe ebenso gefährlich.
    Auf dem Weg zurück fuhr Schirin sich kurz durch ihren Schopf, der wieder ziemlich üppig gewachsen war. »Du wirst mir bald die Haare stutzen müssen«, sagte sie zu Kitzaq, als sie wieder auf Goldfell stieg.
    Der Tatar nickte gedankenverloren, denn ihn beschäftigte etwas anderes. »Dein russischer Häuptling sieht aus, als würde er nun richtig kämpfen wollen!«
    Sie sah Sergejs angespanntes Gesicht vor sich und nickte. Den Hauptmann schien die Last der Verantwortung von Tag zu Tag mehr zu Boden zu drücken, in seiner Miene spiegelten sich Verbissenheit und Verzweiflung. Dennoch konnte Schirin kein Mitleid mit ihm empfinden, denn sie hasste ihn dafür, dass er seine Männer nicht gegen den Feind, sondern gegen wehrlose Bauern geführt hatte. Auch ihre Leute hatten schon die Ordu ihrer Gegner überfallen,aber deren Bewohner wussten ebenso gut mit ihren Waffen umzugehen und sich zu verteidigen wie Möngürs Krieger. Auch vergewaltigte man in der Steppe die Frauen nicht auf der Stelle und tötete sie, sondern führte sie als Beute mit und gab ihnen einen Platz in einer Jurte.
    Für Kitzaq zeichneten sich Schirins Gefühle wie geschriebene Worte auf ihrer Stirn ab. »Halt dein Inneres im Zaum! Du bist ein Krieger, kein kleines Mädchen!«
    Schirin sah ihn erschrocken an und las Besorgnis in seinen Augen. »Danke!«, flüsterte sie und versuchte, eine gleichmütige Miene aufzusetzen und alle störenden Gedanken aus ihrem Kopf zu verbannen.
    Das gelang ihr so gut, dass sie am Abend über einen schwachsinnigen Witz lachen konnte, den Wanja zum Besten gab, und sie brachte es auch fertig, ein Stück Fleisch, das noch von der Beute aus dem letzten überfallenen Dorf stammte, auf einem Stock zu braten und mit Appetit zu verzehren. Dabei achtete sie ebenso wenig wie die anderen darauf, dass das vom Regen nasse Holz der Kochfeuer stark qualmte, sondern half sogar, die Flammen zu schüren, damit Decken und Mäntel trocknen konnten. Da der Regen nachgelassen hatte, kam so etwas wie muntere Stimmung auf, und als die Sonne sank und Kang,

Weitere Kostenlose Bücher