Die Tatarin
»Wir werden es diesen elenden Schweden schon zeigen, meinst du nicht auch, Kitzaq?«
Der Tatar lachte amüsiert auf. »Das werden wir, Bahadur!« Seine Miene aber wurde nachdenklich. Schirin schien aus einem weitaus härteren Holz geschnitzt zu sein, als Zeyna angenommen hatte, und er fragte sich, wie so ein ängstliches Geschöpf wie jene russische Sklavin solch eine mutige Tochter hatte gebären können. Die Frau, die sich Natalja genannt hatte, war bei jedem scharfen Wort zusammengezuckt und hatte sich sogar von den Kindern herumscheuchen lassen. Es musste schon das gute, tatarische Blut sein, das in Schirin die Oberhand behalten hatte, nämlich Möngürs Ahnenreihe, die über die weibliche Linie bis Timur Läng, den die Russen Tamerlan nannten, und über ihn zu Ögedai und Dschingis Khan, dem Länderwürger, reichte. Obwohl es unnatürlich klang, war er stolz darauf, an der Seite dieser Frau zu kämpfen, die erst vor wenigen Tagen das achtzehnte Jahr ihres Lebenskreises vollendet hatte und dennoch ein unerschrockener Kampfgefährte war, auf den man sich felsenfest verlassen konnte.
Sergej hörte Kitzaq lachen und kniff die Lippen zusammen, denn ihm war eher zum Fluchen zumute. Obwohl Paavo, der neben ihm herstapfte, den Weg umsichtig auswählte, nahmen seine Zweifelvon Schritt zu Schritt zu. Der Boden war so mit Wasser voll gesogen, dass Moschkas Hufe bis zu den Fesseln einsanken und das Tier keinen Moment auf dem schmatzenden Untergrund stehen bleiben durfte. Es war unmöglich, hier im Galopp zu reiten, aber wenn sie zu Fuß angriffen, würden sie sich so lange im Schussbereich der schwedischen Musketen aufhalten, dass die Gegner ein Blutbad unter seinen Männern anrichten konnten. Auch war das Gelände nicht so flach und eben, wie es vom Hügel aus gewirkt hatte, sondern wurde von langen, teilweise mehr als mannshohen Wellen durchzogen, so als habe ein Dämon ein stürmisches Meer erstarren lassen, und die Männer mussten sich immer wieder über die rutschigen Flanken der Wellenkämme empor- und auf der anderen Seite wieder hinabquälen. Obwohl seine Leute ebenso wie er jede Deckung ausnutzten, erwartete er jeden Augenblick das Alarmsignal eines schwedischen Hornisten zu hören. Zu seiner Verwunderung aber war nur das immer deutlicher zu ihnen dringende Schreien und Schimpfen der Artilleristen zu vernehmen, die sich wohl immer noch mit ihrem Geschütz abplagten.
Bald waren sie dem Feind im Schutz der letzten Bodenwelle bis auf Schussweite nahe gekommen. Ein lautes Wort oder das Schnauben eines Pferdes würde sie jetzt verraten. Wenn es ihm allerdings gelang, seine Leute in Stellung zu bringen, bevor sie entdeckt wurden, konnte die Aktion ein Erfolg werden. Der Bohlenpfad vor ihnen war nämlich auf einer Länge von mindestens zwanzig Schritt eingebrochen und hatte den Heereszug gespalten. Das Ende des vorderen Teils war ein ganzes Stück weitermarschiert, hatte aber mittlerweile das Fehlen der Artillerie bemerkt und angehalten. Sergej sah ein paar Leute zurückkommen, offensichtlich, um nachzusehen und Meldung zu machen, und von hinten schlossen Männer auf, um ihren Kameraden zur Hilfe zu kommen. Aber diese konnten nicht viel ausrichten, denn der Bohlenpfad versank sofort, wenn sich zu viele Männer an einer Stelle sammelten und in die Seile griffen, um das Geschütz zu heben.
In dem Augenblick, in dem der verantwortliche schwedische Offizier Paavos Übersetzung nach befahl, die havarierte Kanone zu opfern und den Bohlenweg reparieren zu lassen, hatten sich die Steppenreiter in der Deckung der letzten Bodenwelle und des dichten Bewuchses neben ihr gesammelt und waren zum Angriff bereit. Auf Sergejs Zeichen saßen sie auf, legten die letzten fünfzig Schritte im Trab zurück und waren über den Schweden, bevor diese begriffen, wie ihnen geschah. Auf kurze Distanz stellte der Hornbogen der Asiaten eine schrecklichere Waffe dar als die Musketen der Schweden, denn die Kalmücken mussten nicht nach jedem Schuss mühsam laden.
Aus dem Augenwinkel sah Sergej, wie Dutzende Artilleristen von Pfeilen getroffen niedersanken, während er seinen Säbel gegen den kommandierenden Oberst schwang, der in einem schlammbespritzten, blauen Rock und einstmals wohl gelber Schärpe vor ihm stand und ihn anstarrte, als wäre er ein von der Hölle ausgespiener Dämon. Als seine Waffe durch Fleisch und Knochen fuhr, hätte Sergej beinahe aufgelacht. Die Schweden waren von seinem Angriff völlig überrascht worden. Offensichtlich
Weitere Kostenlose Bücher