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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Pferd in die Richtung trieb, in der die feindlichen Truppen warten mussten, bis die Pioniere den Bohlenweg verstärkt hatten, flüsterte sie die schwedischen Worte vor sich hin, die Paavo ihr hatte beibringen müssen. Da der Finne selbst Probleme mit der Aussprache gehabt hatte, hörten sich die Begrüßungsformeln so an, als hätte sie Halsweh, und sie fragte sich, ob der Gefangene falsches Spiel mit ihr getrieben und ihr Worte beigebracht haben mochte, die die Schweden misstrauisch machen oder gar beleidigen würden.
    Sie war so in ihre Überlegungen verstrickt, dass sie eine Gruppe Dragoner übersah, die hinter einem weiß aufblühenden Gebüsch verdeckt die Annäherung des einzelnen Reiters beobachteten und die Karabiner schussbereit hielten.
    Als sie sich bis auf drei Pferdelängen genähert hatte, sprang ein schnauzbärtiger Leutnant auf sie zu und brüllte sie an. »Halt! Stehen bleiben und Hände von den Waffen!«
    Schirin verstand die Worte nicht, aber der Tonfall und die Mündungen der Gewehre waren deutlich genug. Sie zügelte den temperamentlosen Wallach, den Sergej ihr ausgesucht hatte, hob die Arme und beobachtete leicht amüsiert, wie die Männer nervös die Umgebung prüften, um zu sehen, ob jemand ihr folgte. Erst, als die Soldaten sich überzeugt hatten, dass der Russe vor ihnen allein war, kamen auch die restlichen aus der Deckung. Ihre Gesichter wirkten feindselig, und mehr als einer sah so aus, als würde er am liebsten seine Waffe auf die Uniform abfeuern, die der unvermutet aufgetauchte Reiter trug, ohne ihm vorher Fragen zu stellen.
    Der Leutnant, der in einer verblichenen blauen Montur steckte und einst gelb gefärbte, nun aber braunspeckig glänzende Hosen aus Leder trug, schien jedoch zu wissen, dass ihm ein Toter bei seinem Vorgesetzten nur Ärger einbringen konnte. »Wer bist du, und was suchst du hier?«
    Seine Miene verriet Schirin den Sinn seiner Worte. »Ich bin Wladimir Safronowitsch Buturlin und muss dringend mit General Lybecker sprechen«, antwortete sie auf Russisch und setzte ein paar der von Paavo gelernten schwedischen Floskeln hinzu.
    Der Leutnant schnaubte, als hätte er den scharfen Geruch von Schweinedung in die Nase bekommen, und lachte dann höhnisch auf. »Das Herrlein will unseren Kommandierenden sprechen. Warum nicht gar König Carl persönlich?«, fragte er in kaum verständlichem Russisch.
    Schirin atmete auf. Die Tatsache, dass der Mann ihre Sprache verstand,erleichterte ihr die Aufgabe. »Weil euer König sich bei seiner Hauptarmee in Weißruthenien aufhält!«
    »Und was willst du von unserem General?«, fragte der Leutnant um einiges verbindlicher.
    »Ihn von einigen Freunden grüßen, deren Namen zu nennen mir derzeit noch die Klugheit verbietet.« Schirin verkniff es sich, Erleichterung zu zeigen, aber der erste Zug dieses unsichtbaren Schachspiels war an sie gegangen. Der Schwede wirkte nun verunsichert und wagte nicht weiter nachzufragen.
    Stattdessen wandte er sich an seinen Unteroffizier. »Anders, übernimm du die Truppe. Ich bringe dieses Russenherrchen zum Heer.« Dann wendete er sein Pferd und winkte dem Mann, von dem er noch nicht wusste, ob er ein Gefangener oder ein Gast sein würde, mit dem Lauf seiner Pistole vorauszureiten. Nach gut zwei Werst trafen sie auf den Heereszug, der stockend weiterkroch. Die einzelnen Truppenteile waren enger zusammengerückt als früher, und ein Trupp Grenadiere sicherte die Flanken mit geladenen Musketen. Die Männer starrten Schirin so erschrocken an, als hätten sie den angeblich Menschen fressenden Zaren vor sich, ließen sie und ihren Führer jedoch passieren.
    Als sie an dem marschierenden Heer entlangritten, kam ihnen ein prachtvoll gekleideter junger Mann in einem dunkelblauen Rock, einem gefältelten Spitzenhalstuch und einem riesigen, von bunten Federn übersäten Hut auf dem Kopf entgegen. An seinen bis zu den Oberschenkeln reichenden Stiefeln waren große silberne Sporen befestigt, und an seinem breiten Ledergürtel hing ein Degen mit juwelengeschmücktem Elfenbeingriff. Am auffälligsten waren jedoch die Ringe, die er über seinen Handschuhen an den Fingern trug. Im ersten Moment hielt Schirin ihn für den General persönlich und versteifte sich.
    Der Mann musterte den Dragonerleutnant ungehalten. »Was ist los, Nilsson? Warum hast du deinen Trupp verlassen?«
    Dieser tippte mit zwei Fingern seiner Rechten gegen den Rand seinesDreispitzes. »Melde gehorsamst, Herr Major, ich habe einen Russen gefangen

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