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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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begriff, worauf er hinauswollte.
    »Du wirst deine Paradeuniform anlegen, damit die Schweden auch etwas zu schauen haben, und eines unserer Ersatzpferde nehmen. Goldfell ist den Kerlen bestimmt aufgefallen, also musst du ihn zurücklassen.«
    In Schirin bäumte sich alles dagegen auf, sich von ihrem Hengst trennen zu müssen, denn Goldfell war schneller als jedes schwedische Pferd und fand auch hier im Sumpf fast traumhaft sicher seinen Weg. Aber sie sah ein, dass Sergej Recht hatte, und wollte ihn weder enttäuschen noch sich mit ihm streiten. Zwar hatte ihre Freundschaft in den letzten Wochen gelitten, doch ihr lag immer noch sehr viel mehr an seiner guten Meinung, als sie wahrhaben wollte.
    »Ich werde es schaffen, Sergej Wassiljewitsch!« Es klang wie ein Schwur.
    Sergej grinste sie an wie ein Lausbub, der eben einen prächtigen Streich ausgeheckt hatte. »Das will ich hoffen! Sollte es dir nämlich nicht gelingen, die Schweden von Sankt Petersburg wegzulocken, wird der Zar uns alle in die Flammen treiben lassen, in denen seine Stadt untergeht.«
    Schirin schüttelte unwillig den Kopf. »Wenn ihm so viel an Sankt Petersburg liegt, warum schickt er dann nicht genug Soldaten dorthin, um es zu verteidigen?«
    Sergej lachte bitter auf. »Pjotr Alexejewitsch ist der Zar von ganz Russland und nicht nur von Sankt Petersburg. Er muss das Hauptheer der Schweden abfangen, bevor es Moskau erreicht, denn wenn die Hauptstadt fällt, zerbricht unser Land. Die meisten der Völkerstämme,die dem Zaren untertan sind, werden sich in diesem Fall gegen ihn erheben und sich von ihm lossagen, während die Schweden sich den verbliebenen Rest einverleiben.«
    Auf Schirins Zunge lagen bereits die Worte, dass ihr das gleichgültig sein konnte, denn es war ja nicht ihr Russland. Doch sie brachte es nicht fertig, Sergej das Herz noch schwerer zu machen, denn sie empfand eine ihr immer noch unerklärliche Sympathie für den Mann, den sie neben dem Zaren eigentlich am meisten hassen sollte.
    »Wann soll ich aufbrechen?«, fragte sie deswegen.
    »Morgen früh! Du solltest einen Bogen schlagen, damit du nicht aus unserer Richtung kommend auf die Schweden triffst. Für einen Teil der Strecke werde ich dir Wanja, Kitzaq und ein paar Reiter als Geleit mitgeben, aber sowie ihr merkt, dass ihr euch den Schweden nähert, werden sie umkehren.« Sergej blickte nach Norden, wo die Sonne gerade als roter, nur noch schwach leuchtender Ball den Horizont berührte.
    »Bist du dir sicher, dass du es tun willst?«, fragte er unvermittelt.
    Ich bin mir sicher, dass es das Letzte ist, was ich tun möchte, fuhr es ihr durch den Kopf; ihr Mund formte jedoch andere Worte. »Aber ja! Wir müssen doch etwas gegen die Schweden unternehmen, wenn wir nicht im Kochtopf des Zaren landen wollen!«
    Sergej nickte ernst. »Ich baue auf dich, Bahadur. Jetzt brauchst du nur noch einen Namen, mit dem du bei den Schweden Eindruck schinden kannst. Er sollte der einer bekannten Bojarensippe sein oder besser noch einer fürstlichen Familie gehören. Lass mich überlegen – mir wird schon etwas einfallen …« Er ging in Gedanken einige Namen durch und grinste plötzlich wie ein kleiner Junge, dem der Honigtopf seiner Mutter in die Hände gefallen ist.

V.
    Schirin hatte sich noch nie so verängstigt und einsam gefühlt wie an diesem Tag, noch nicht einmal damals, als Zeyna sie den Russen ausgeliefert hatte. Wie zu jener schier unendlich weit zurückliegenden Zeit ritt sie im prächtigen Putz durch das Land, auch wenn es diesmal die Paradeuniform eines russischen Dragoneroffiziers war und keine tatarische Tracht. Anders als in den Kleidern, mit denen sie ihre Heimat verlassen hatte, kam sie sich in dem grünen Rock und dem Dreispitz auf dem Kopf, der mit den Federn eines Vogels namens Strauß geschmückt war, fremd und unwirklich vor. Wie sollte sie darin den Schweden vorspielen, ein russischer Offizier zu sein und dazu noch ein Verräter am Zaren? Sie war fast schon überzeugt, von Lybecker sofort als Lügner entlarvt und als Spion behandelt zu werden. Immer wieder starrte sie auf den goldenen Ring an ihrem Mittelfinger, der ihre Tarnung vervollständigen sollte. Aus irgendeinem sentimentalen Grund hatte Sergej das Ding, das ihm selbst viel zu klein war, mit sich herumgeschleppt und gezögert, es zu versetzen. Aber jetzt hatte er sich ohne Zögern davon getrennt, weil das Schmuckstück dazu dienen sollte, ihre Tarnung zu vervollständigen.
    Während Schirin ihr hartmäuliges

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