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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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und Profose stellten die Ruhe im Lager rasch wieder her und brachten die Soldaten in Verteidigungsstellung, so als wüssten sie, dass sie belauert wurden.
    Einige Stunden tat sich nichts. Die schwedischen Pioniere versuchten, die noch brauchbaren Kanonen zu bergen, ihre Lafetten zu reparieren und die schweren Rohre darauf zu betten. Die auf den Bastionen von Schlüsselburg stehenden Langrohre aber feuerten in regelmäßigen Abständen, und ihre Kugeln zerschmetterten die mühsam wieder aufgebauten Geschützstellungen, ehe diese den ersten Schuss abgeben konnten. Sergej beobachtete von der Anhöhe herab die Einschläge, die die Soldaten wie Stoffbündel durch die Luft wirbeln ließen. Berstendes Holz stob auf und schlug wie Pfeile in die noch aufrecht stehenden Männer ein, deren Schreie bis zu ihm hoch gellten. Als die Reste der mühsam wiederhergestellten Plattform in die Newa kippten, gaben die Schweden den Versuch auf, das russische Feuer erwidern zu wollen. Dafür rückten Arbeitstrupps aus, um in den spärlichen Birken- und Föhrenwälder auf dieser Seite der Newa Holz zu schlagen.
    Das wäre eine herrliche Gelegenheit für ein oder zwei schnelle Überfälle,dachte Sergej, verkniff sich jedoch den Befehl, denn damit würde er höchstwahrscheinlich die Chance aus der Hand geben, Bahadur zu befreien. Ungläubig lächelnd beobachtete er, wie die Schweden die gefällten Bäume mit Seilen zur Newa schleppten und weit außerhalb der Reichweite der russischen Kanonen zu Flößen zusammenbanden. Kurz darauf begannen die ersten Gruppen überzusetzen. Die Schweden hatten jedoch die Strömung des von der Schneeschmelze aufgeschwollenen Flusses falsch eingeschätzt, denn die meisten Flöße wurden weit abgetrieben, und etliche kippten unter der Wucht der Wellen um und warfen ihre Last in die Fluten. Von den im Wasser treibenden Soldaten erreichten nur wenige Glückliche das rettende Ufer, die meisten aber wurden von ihrer Kleidung und den Waffen in die Tiefe gezogen. Die Schweden schienen aus dem sich anbahnenden Desaster nichts zu lernen, denn sie arbeiteten ungerührt weiter und ließen nun größere Flöße zu Wasser, um den Train überzusetzen. Die dünnen Stangen aus frischem Holz trugen nur eine geringe Last, und die Seile, die sie zusammenhielten, erwiesen sich als nicht stark genug. Daher wurden etliche Wagen mit Vorräten und Kriegsmaterial, die letzten verbliebenen Belagerungsgeschütze und ein Teil der Feldartillerie ebenfalls ein Opfer der Newa.
    Bei jedem Belagerungsgeschütz und jeder Feldschlange, die den Schweden auf diese Weise verloren ging, stieß Sergej einen leisen Jubelruf aus und dankte allen Schutzheiligen Russlands. Noch nie hatte er von einem so verlustreichen Flussübergang ohne Feindeinwirkung gehört, und er konnte kaum glauben, was sich da vor seinen Augen abspielte. Lybecker hatte eine kriegsstarke Armee an die Newa gebracht und würde sie mit einem demoralisierten Haufen wieder verlassen, ohne Russland den geringsten Schaden zugefügt zu haben. Trotz der Befriedigung, die er empfand, vergaß Sergej nicht, aus welchem Grund er hier war. Bisher hatte sich keine Gelegenheit zu einer Befreiungsaktion ergeben, denn auf dieser Seite der Newa ließen die Schweden sich nicht aus der Ruhe bringen, so als ginge die Wartenden der Untergang ihrer Armee, der sich immerdeutlicher abzeichnete, gar nichts an. Sergej musterte jedes Floß, das vom Ufer abstieß, und hatte endlich Glück. Um sicherzugehen, beschattete er die Augen und sah noch einmal hin. Tatsächlich war unter den blauen Uniformen endlich ein einzelner grüner Fleck zu sehen. Das konnte nur Bahadur sein. Sergej hielt unbewusst die Luft an und atmete erst auf, als das Floß unbeschadet das andere Ufer erreichte. Mehrere Schweden sprangen an Land, und dann sah er, dass auch Bahadur das unsichere Gefährt verließ.
    Kitzaq, der sich zu ihm geschlichen hatte, um zu sehen, wo sein Hauptmann so lange blieb, deutete spöttisch nach unten. »Nach diesem Tag dürften die Schweden erschöpft und wenig wachsam sein. Also sollten wir die heutige Nacht nutzen, um Bahadur zu befreien.«
    Sergej hob hilflos die Hände. »Dafür müssten wir hier die Newa überqueren, und ich glaube nicht, dass wir aus Schlüsselburg Boote bekommen. Flöße können wir auch nicht bauen, denn die Schweden würden unsere Axthiebe bis über den Fluss hören. Also müssen wir bis Sankt Petersburg reiten und dort übersetzen.«
    »Was sollen wir mit Booten und Flößen? Komm mit,

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