Die Tatarin
heimwärts reiten? Ich traue Kang und Ischmet nicht über den Weg.«
Seine Worte entsprachen nur teilweise der Wahrheit, denn der Kalmücke und der Baschkire hatten ihre Leute unter Kontrolle, aber Kitzaqs eigene Halsabschneider mochten tatsächlich auf die Idee kommen, seine Abwesenheit auszunützen.
Seine Worte söhnten Wanja mit seinem Schicksal aus. »Ich werdeauf die Burschen hier aufpassen wie auf meine Augäpfel. Von denen geht uns keiner verloren. Euch wünsche ich viel Glück, und kommt nicht ohne unser Söhnchen wieder!« Er stand auf und umarmte erst Sergej und dann Kitzaq. Dabei rutschte ihm die Decke von den Schultern, und er stand nackt vor den anzüglich grinsenden Steppenreitern.
Kitzaq grinste ebenfalls, aber mehr über die Vorstellung, welche Miene Schirin jetzt wohl gezogen hätte. Dann lachte er über sich selbst, denn auf diesem Feldzug hatte das Mädchen schon so oft Männer mit entblößten Gliedern und nackten Hintern gesehen, dass es verlernt hatte zu erröten.
IX.
Bislang hatten die Schweden ihre Lager stets in bester Ordnung aufgeschlagen, doch diesmal standen die Zelte wild durcheinander und verdeckten einander, so dass die Wachtposten nicht wie gewohnt durch die Reihen hindurchblicken konnten. Wie Kitzaq vermutet hatte, waren die Soldaten erschöpft von der harten Arbeit der letzten Tage und hatten die Mühen und Schrecken der Flussüberquerung noch nicht verkraftet. So kam es, dass die Wachen lange vor ihrer Ablösung mit dem Schlaf kämpften und ihnen die beiden schattenhaften Gestalten entgingen, die sich im Schutz einiger Felsen und einzeln stehender Bäume heranschlichen.
Nur wenige Schritte von einem der Posten entfernt duckten Sergej und Kitzaq sich hinter ein paar junge Birken und warteten. Da der schwache Schein der mehr rauchenden als brennenden Wachfeuer nicht bis zu ihnen drang und der bewölkte Himmel auch keinerlei Licht spendete, waren sie so gut wie unsichtbar, aber die Dunkelheit machte es ihnen auch unmöglich, das Zelt zu finden, in dem Bahadur gefangen gehalten wurde. Sergej biss sich nervös auf die Lippen, Kitzaq hingegen schien die Ruhe selbst zu sein. Als der Posten von einem anderen Mann abgelöst wurde, kroch der Tatar während des kurzen Gesprächs der beiden Schweden näher heran und wartete, bis der abgelöste Soldat ins Lager zurückkehrte. Der nun Dienst tuende Wächter starrte auf den Rücken seines sich entfernenden Kameraden, statt auf seine Umgebung zu achten, und da es auch kein Geräusch gab, das ihn warnte, bemerkte er den Angreifer erst, als er dessen Griff um seine Kehle spürte. Er öffnete den Mund zu einem Schrei, brachte aber nicht einmal ein Gurgeln heraus, sondern sank einen Augenblick später erwürgt zu Boden.
Kitzaq kniete neben ihm nieder und öffnete die Knöpfe seiner Uniform.»Zieh seine Kleidung an! Darin kannst du durchs Lager laufen und nach Bahadur suchen.«
Sergej schüttelte sich. Als Soldat war ihm der Tod allgegenwärtig, doch auf eine so unvermittelte Art hatte er ihn noch nicht erlebt. Er fasste sich aber rasch wieder, schlüpfte aus seiner Uniform und streifte die Hosen und den Rock des Schweden über.
Dann tippte er Kitzaq auf die Schulter. »Du solltest meinen Rock anziehen und die Muskete schultern, so dass man dich für den Wachposten hält. Im Dunklen kann keiner feststellen, dass du nicht das Blau der Schweden, sondern das Grün der Rijasanski-Dragoner trägst.«
Kitzaq stieß ein zustimmendes Brummen aus, zog sich ebenfalls um und nahm die Stelle des toten Schweden ein. Währenddessen folgte Sergej dem Weg, den der abgelöste Wachtposten genommen hatte, bog aber sofort nach den ersten Zelten ab, um nicht im Schein der Feuer von dem Mann, der weiter vorne stehen geblieben war, gesehen zu werden. In Gedanken wiederholte er die paar schwedischen Sätze, die er sich von Paavo hatte beibringen lassen. Ich muss zur Latrine!, war noch das Vielversprechendste, und er hatte sich alle Mühe gegeben, ihn ohne russischen Zungenschlag aussprechen zu können.
Trotz der Verluste der Schweden gab es so viele Zelte, dass Sergej mutlos zu werden drohte. Bis er an jedem Einzelnen vorbeigegangen war, würde der Morgen bereits grauen. Er konnte nur hoffen und zu allen Heiligen beten, dass tatsächlich ein Wachtposten dasjenige kennzeichnete, in dem Bahadur sich befand. Die Tatsache, dass die Zelteingänge nicht wie sonst in die gleiche Richtung wiesen und allerlei Gegenstände wie weggeworfen zwischen ihnen herumlagen,
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