Die Tatarin
große, kräftige Kerle mit hellen Augen und Haaren, die in der Sonne wie Gold oderBronze leuchteten. Alle waren gut genährt und ihren Gesichtern und Stimmen zufolge bester Dinge. Schirin hatte den Eindruck, als sähen sie die Russen weniger als ernst zu nehmende Feinde an, sondern als Jagdwild, das man so rasch wie möglich vor die Flinte bekommen wollte.
»Deserteure also!« Der König klang fast noch verächtlicher als vorher.
Kirilin schüttelte heftig den Kopf. »Nein, Euer Majestät. Wir sind keine Deserteure, sondern Vertreter des wahren Russlands, die den Antichristen Pjotr Alexejewitsch so rasch wie möglich gestürzt und den Zarewitsch auf dem Thron im Kreml von Moskau sehen wollen.«
Carl XII. wandte sich mit höhnischer Miene an Svensson. »Wie ich schon immer sagte: Die Russen sind das Regiment Peter Romanows leid, denn der will sie zum Arbeiten zwingen. Die Kerle sehnen sich in ihre flohverseuchten Katen zurück, um so dahinvegetieren zu können wie ihre Väter und Großväter. Wenn es jemals gutes schwedisches Warägerblut in ihren Adern gegeben haben sollte, so ist es durch die Vermischung mit krummbeinigen Tataren und anderen Wilden wieder ausgeschwemmt worden.«
Schirin brauchte eine Weile, bis sie die Bemerkungen des Schwedenkönigs verstand, platzte dann aber beinahe vor Wut. Zum Glück war ihr Schwedisch zu schlecht, um diese Ungezogenheit parieren zu können, und sie fand daher Zeit, sich wieder zu beruhigen. Die Schweden brauchten nicht zu wissen, dass sie ihre Sprache recht gut verstand. Als sie noch einmal über den Ausspruch des Königs nachdachte, musste sie innerlich sogar auflachen, denn Carl XII. hatte eben zugegeben, dass Tatarenblut stärker war als das schwedische, denn sonst hätte es das der Waräger nicht übertrumpfen können. Eines aber war für sie gewiss: Ihr Freund würde dieser arrogante Schwede wohl niemals werden.
III.
Sergej hatte Bahadurs Verschwinden zunächst nicht ernst genommen, sondern war der festen Überzeugung gewesen, der junge Tatar habe sich beleidigt auf Goldfell geschwungen, um für einige Stunden alleine vor sich hin zu schmollen. Kitzaq aber machte sich von Anfang an Sorgen, denn er kannte Schirins Sturheit, doch auch ihm lag der Gedanke fern, das Mädchen könnte sich Kirilin und Ilgur angeschlossen haben.
Als Bahadur am Mittag des dritten Tages noch immer nicht zurückgekehrt war, begann Sergej sich zu fragen, ob dem Jungen etwas zugestoßen sein mochte, und überlegte, wie er nach ihm suchen konnte, ohne gegen seine Befehle zu verstoßen. Da preschte eine Kosakenschar heran. Der Anführer brachte seinen Hengst aus vollem Galopp zum Stehen und funkelte Sergej grimmig an. »Bist du Tarlow?«
Sergej nickte verwundert und gleichzeitig verärgert, weil der Kosak jede Höflichkeit vermissen ließ.
»Mitkommen, du bist verhaftet!«, schnauzte der andere ihn an.
»Verhaftet?« Sergej glaubte, sich verhört zu haben. Doch in dem Augenblick senkten die Kosaken ihre Flinten und legten auf ihn an. »Was soll der Unsinn?«, fragte er empört.
»Befehl von Väterchen Pjotr Alexejewitsch. Wir haben dich zu ihm zu bringen. Wenn es lebend nicht geht, dann eben tot.« Der Kosak sah ganz so aus, als würde er die zweite Möglichkeit vorziehen.
Sergej wechselte einen raschen Blick mit Wanja. »Kümmerst du dich um unsere Leute, während ich weg bin? Es muss sich um ein Missverständnis handeln, das sich schnell aufklären wird.«
»Hoffen wir es!«, brummte Wanja nicht gerade überzeugt. Er konnte sich nicht vorstellen, aus welchem Grund der Zar seinen Hauptmannverhaften ließ, doch das, was man sich von Pjotr Alexejewitsch und seinem Jähzorn erzählte, versprach nichts Gutes.
Sergej hatte ein flaues Gefühl im Magen, als die Kosaken ihn in die Mitte nahmen. Er musste seine Pistolen zurücklassen, durfte seinen Säbel aber vorerst noch behalten.
Die Kosaken legten ein scharfes Tempo vor und ritten, ohne ihre Pferde zu schonen. Sergejs Moschka war mit seinen zwölf Jahren noch nicht zu alt und eigentlich recht ausdauernd, doch nach einer Weile stob Schaum von seinem Maul, und er stieß jenes Stöhnen aus, das auf tiefe Erschöpfung hindeutete. Sergej machte sich nun mehr Sorgen um sein Pferd als um sich selbst und hoffte, dass sie ihr Ziel erreichten, bevor der Wallach zusammenbrach und nicht mehr zu gebrauchen sein würde.
Niedergebrannte Dörfer und zertrampelte Felder flogen an der Reiterschar vorbei. An einigen Stellen waren Soldaten dabei, Brunnen mit
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