Die Tatarin
Gewehre zu senken. »Johan Svensson zu Diensten. Ich freue mich, Euch als Gast Seiner Majestät, des Königs, begrüßen zu dürfen.« Der Major wirkte fast ebenso erleichtert wie Kirilin, denn die Ankunft der Russen ließ ihn hoffen, dass sich das Heer des Zaren bereits in Auflösung befand und die Prophezeiung seines Königs, ganz Russland mit einer einzigen, letzten Schlacht gewinnen zu können, der Wahrheit entsprach.
»Wir sind auf Patrouille, haben unsere Strecke aber beinahe schon abgeritten und kehren bald in unser Lager zurück. Es wäre mir eine Ehre, wenn Ihr und Eure Leute uns begleiten würden.« Obwohl Svensson höflich bat, war seine Einladung ein Befehl.
Kirilin atmete auf, denn damit war die Flucht gelungen. Er und seine Männer waren in Sicherheit. »Natürlich begleiten wir Euch, Herr Major. Wir sollten allerdings vorsichtig sein, denn der Zar und seine Generäle sehen es nicht gerne, wenn ihre Soldaten die Seiten wechseln.«
»Das kann ich mir vorstellen!« Svensson lachte laut auf, wurde aber rasch wieder ernst und rief einen seiner Offiziere zu sich. »Ramme, nimm dir fünfzig Mann und reite den Rest unserer Strecke ab. Ich begleite unsere Gäste mit dem Haupttrupp ins Lager.«
Hauptmann Ramme salutierte und gab seinem Sergeanten den Befehl, ihm mit einer halben Kompanie zu folgen. Zweieinhalb Kompanien blieben bei Svensson zurück, genug Leute, um Kirilins Trupp nicht nur zu eskortieren, sondern auch zu bewachen. Als sie anritten, lenkte Kirilin sein Pferd neben das des Majors und begann ein Gespräch, das teils in Russisch, teils in Schwedisch geführt wurde.
Wütend auf sich selbst ritt Schirin nun mitten im Pulk und machte sich Vorwürfe, weil sie während der Flucht nicht den Kosaken entgegengeritten war und sich ihnen als Freund zu erkennen geben hatte. Dann aber dachte sie an die Toten, und ihr wurde klar, dass die Verfolger sie höchstwahrscheinlich als einen der Mörder ihrer Freunde angesehen und deren Tod an ihr gerächt hätten. Während Kirilins übrige Begleiter ihr Glück priesen, so rasch auf eine schwedische Patrouille getroffen zu sein, kämpfte Schirin gegen ihre Tränen an. In eine neue Wolke aus Selbstvorwürfen gehüllt, bemerkte sie nicht, dass Svenssons Beritt sich dem schwedischen Heerlager näherte und bei dem ersten Posten anhielt. Da Schirin die Zügel locker gelassen hatte, blieb Goldfell mit den anderen Pferden stehen. In dem Moment schrak sie auf und sah einen Wald von Zelten vor sich. Es mussten Tausende sein, die in schnurgeraden Linien aufgebaut worden waren. Schirin versuchte die Masse an Kriegern abzuschätzen, die hier versammelt sein mochten, doch ihre Phantasie reichte dazu nicht aus. Es schienen mindestens zehnmal mehr zu sein, als General Lybecker bei sich gehabt hatte.
Noch während sie ihren Blick mit einem geheimen Grauen über das riesige Lager schweifen ließ, kam der Posten zurück, den Svensson losgeschickt hatte. Er salutierte vor dem Major und wies dann mit dem Kinn auf die Russen. »Der Oberst sagt, die Kerle können ins Lager. Sie müssen aber ihre Waffen abgeben.«
»Nicht die Säbel!«, rief Kirilin, der die schwedischen Worte verstanden hatte. Auch Schirins Hand fuhr unwillkürlich zum Säbelgriff. Ebenso wie Sergej Tarlow hatte sie während der letzten Monate von ihrem finnischen Gefangenen Paavo Schwedisch gelernt und fühlte sich daher nicht ganz so hilflos. Zwar verstand sie nicht alles, was die Männer sich zuriefen, aber das meiste konnte sie sich zusammenreimen.
»Die Säbel dürfen sie behalten, denn damit werden sie wohl kaum Schaden anrichten können«, sagte Svensson mit einer verächtlichen Geste zu dem Posten.
»Da habt Ihr Recht, Herr Major. Mit einem richtigen Schweden kann sich so ein Moskowiter nicht messen, und was diese Tataren angeht, die bei dem Trupp dabei sein sollen« – sein Blick streifte dabei Schirin –, »nun, die sehen noch weniger aus, als ob man sie fürchten müsste.«
»Gewiss nicht!« Svensson brach in Gelächter aus und klopfte dem Wachtposten vom Sattel aus auf die Schulter. Dann drehte er sich zu den Russen um und wies sie mit Gesten an, ihm zu folgen. Kirilin hatte die Unterhaltung zwischen dem Hauptmann und dem Posten ebenfalls verstanden und wirkte ein wenig angesäuert, Schirin aber empfand eine gewisse Genugtuung. Wie es aussah, schienen die Schweden die Russen für Schwächlinge und Memmen zu halten. Bei Kirilin mochten sie damit sogar Recht haben, doch Sergej war aus einem anderen Holz
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