Die Tatarin
versuchte, den Hengst so unauffällig wie möglich zu satteln, aber sie hatte die Riemen noch nicht festgezogen, als einer der Wächter auftauchte und sie angrinste.
»Dir gefällt es wohl nicht, nach Süden ziehen zu müssen, was?«, fragte er und streichelte liebevoll das Schloss seiner Muskete.
Für ihn waren Kirilins Leute in erster Linie Russen und somit Feinde, die man im Auge behalten musste, und Schirin sah ihm an, dass er danach gierte, sie über den Haufen zu schießen. Daher tat sie so, als hätte sie noch einmal den Sitz des Sattels prüfen wollen, und begann, ihren Hengst zu striegeln. Der Schwede blieb jedoch mit erhobenem Lauf in ihrer Nähe stehen und schien darauf zu warten, dass sie eine falsche Bewegung machte. Daher war sie zum ersten Mal froh, dass Ilgur, der mit einigen anderen Geiseln heranschlenderte, sich neugierig zu ihr gesellte. »Putzt du deinen Gaul für den Ritt nach Süden heraus?«
Da Ilgur diese Arbeit wie jede andere seinem Diener überließ, der mit Pferden weitaus besser umgehen konnte als sein Herr, hatte er viel Zeit herumzustehen und anderen zuzusehen. Schirin zuckte mit den Schultern, bequemte sich aber zu einer Antwort, denn sie hoffte, ein unverfängliches Gespräch würde das Misstrauen des Postens einschläfern. »Was heißt herausputzen? Ich striegle Goldfell immer mal wieder.«
Ilgur machte es sich auf einem Pfosten bequem. »Was meinst du, wohin wir jetzt ziehen?«
Schirin lachte auf. »Woher soll ich es wissen? Ich sitze nicht im Kopf des Schwedenkönigs, und gesagt hat er es mir auch nicht.«
»Bestimmt reiten wir zu den Türken. Die sind die größten Feinde der Russen und werden uns mit Freuden empfangen«, sagte einer der anderen Sibirier hoffnungsvoll.
Der schwedische Wächter lachte auf und mischte sich in einem grauenhaften Russisch in das Gespräch ein. »Die Türken könnten mir schon gefallen, vor allem ihre Haremsweiber. Unser allerhabendster König hat ja leider verboten, dass wir Huren mitnehmen, aber nicht jeder kann so enthaltsam leben wie er.«
Er machte eine anzügliche Geste, die Ilgur mit einem zustimmenden Grinsen beantwortete. »Ich schätze eher, dass es zu unseren Brüdern, den Krimtataren, geht. Die werden uns ebenfalls mit offenen Armen empfangen, und wenn wir im Frühjahr gegen den Zaren ziehen, reiten Tausende ihrer Krieger an unserer Seite. Das sind tapfere Kerle, sage ich dir! Ein Kosak ist gar nichts dagegen.«
Der Schwede lachte auf. »Ob Türken oder Tataren, das ist mir egal, Hauptsache, es gibt dort Weiber, die man auf den Rücken legen kann. Man scheuert sich ja sonst noch die Hände wund.«
Schirin wandte sich ab, damit man ihre angeekelte Miene nicht sah, Ilgur aber nickte eifrig. »An Weibern wird es uns dort bestimmt nicht fehlen. Sowohl im Osmanischen Reich wie auch bei den Krimtataren gibt es genug russische Sklavinnen, die nur darauf warten, von uns gesattelt zu werden.«
»Ja, ja! Bei einem hübschen Stück Weiberfleisch wird selbst der eingefleischteste Fußsoldat zum strammen Kavalleristen.« Der Schwede klopfte Ilgur auf die Schulter und bekräftigte die im Entstehen begriffene Freundschaft, indem er ihn aus seiner Aquavitflasche trinken ließ. Froh, sich seine Wünsche und Sorgen von der Seele reden zu können, wechselte er das Thema. »Das mit Lewenhaupt war eine Sauerei, sage ich euch! Doch das werden wir den Russen noch heimzahlen. Dieser Zar Pitter wird winseln und jammern, wenn die harte Faust eines Dalarna-Kerls seinen Schädel trifft.«
Ilgur und zwei weitere Sibirier stimmten ihm lebhaft zu, während ein Schwede, der neben der Gruppe stehen geblieben war, zweifelnd den Kopf schüttelte. »Ich glaube nicht, dass König Carl uns zu den Türken oder Tataren führt. Bestimmt werden wir nach Südpolen ziehen, uns dort mit den Truppen König Stanislaws vereinigenund mit ihnen im nächsten Frühjahr nach Moskau ziehen.«
Ein Russe aus Kirilins Gefolge trat näher und spie aus. »Die Polen sollen bleiben, wo sie sind! In Russland sind sie gewiss nicht willkommen.«
Schirin wunderte sich über den Widerwillen des Mannes gegen die Polen, die doch den gleichen gekreuzigten Gott anbeteten wie die Russen selbst. Gegen Türken und Tataren schien er keine Abneigung zu haben, obwohl diese Moslems und damit in russischen Augen verabscheuungswürdige Ungläubige waren. Auch die Schweden, die nun Verbündete bei Andersgläubigen suchten, hatten Glaubensbrüder wie Dänen und Sachsen niedergeworfen und zogen jetzt gegen
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