Die Tatarin
aber hatte andere Pläne, denn er ließ bei der nächsten Nachtrast nach einigen Krügen Kwass durchblicken, dass er glücklich wäre, sich Sergejs Trupp bis Nischni Nowgorod anschließen zu können. Es war billiger für ihn, dem jungen Offizier ein gutes Essen und seinen Leuten ein Glas Wodka zu bezahlen, als sich neue Knechte zu suchen, zumal er dabei an Halsabschneider geraten konnte, die ihn ausplündern und umbringen würden.
»Es ist vielleicht das letzte Mal auf Jahre hinaus, dass ich zur Messe nach Nischni Nowgorod fahren kann«, sagte der Kaufmann seufzend zu Sergej. »Man weiß ja nicht, wie es mit diesen elenden schwedischen Ketzern wird. Wenn die Moskau erobern, ist es bis Nischni Nowgorod nicht mehr weit. Gott sei Dank ist Sibirien halbwegs vor ihnen sicher. Über das Uralgebirge werden die Schweden gewiss nicht steigen.«
Sergej ärgerte sich über dieses Gerede; Jurij Gawrilitsch tat gerade so, als wäre die Armee des Zaren besiegt, bevor es zu einer entscheidenden Schlacht gekommen war. Daher fiel seine Antwort nicht sehr höflich aus. »Wenn du mit uns mitkommen willst, musst du geschwinder reisen als heute. Mein Befehl lautet, nicht zu säumen, denn der Zar erwartet uns! Er sammelt seine Truppen, um diesen Schweden zu zeigen, dass Russland wohl das eine oder andere Mal geschlagen, aber niemals bezwungen werden kann.«
»Ich weiß nicht, ob ich an Eurer Stelle so versessen wäre, nach Westen zu kommen, Väterchen Hauptmann. Im Krieg kann man erschlagen werden, und es wäre doch schade um so einen prächtigen Mann wie Euch.« Jurij Gawrilitsch zwinkerte Sergej dabei vertraulich zu. Ihm gefiel der junge Offizier, der gewiss auch als Kaufmann und Schwiegersohn eine gute Figur abgeben würde, und schon um seinetwillen wollte er bei dem Trupp bleiben. Daher versprach er bei allen Heiligen, sich am nächsten Morgen ein schnelleres Gespann zu besorgen.
Sergej wurde klar, dass er den Kaufmann so leicht nicht loswerden würde, und nach einigen Gläsern Wodka, die Jurij Gawrilitsch ihm auftischen ließ, fand er sich mit dessen Begleitung ab. Der Sieg gegen die Schweden hing nicht davon ab, ob er Moskau einen Tag früher oder später erreichte.
X.
Zwei Tage später zeigte Wanja Dobrowitsch auf die Umrisse von Ufa, die sich wie ein Scherenschnitt gegen die tief stehende Sonne abzeichneten. »Jetzt sind wir endlich im richtigen Russland. Mag mich mein weiterer Lebensweg nie mehr weiter nach Osten führen als bis hierher.«
Schirin schüttelte sich. Sie waren schon so unendlich weit gereist, dass sie langsam befürchtete, sie würde den Weg zu ihrem Stamm nicht mehr finden. Dabei hatten sie erst gut die Hälfte des Weges bis Moskau zurückgelegt, das man ihnen als Ziel genannt hatte. Sie starrte auf die näher kommende Stadt, die jeden Ort, den sie bisher passiert hatten, an Größe vielfach übertraf, und sah zum ersten Mal eine Festungsmauer, die nicht aus angespitzten Pfählen bestand, sondern aus grauem Stein. Die Gebäude, deren Dächer über die Umfassungsmauer ragten, schienen ebenfalls aus Steinen errichtet zu sein, und die Türme der Kirchen trugen Kuppeln, die das Licht der untergehenden Sonne spiegelten, als beständen sie aus Gold.
Ostap, der neben ihr ritt, riss vor Staunen den Mund auf. »Bei Allah, schaut nur die goldenen Kuppeln! Welch ein Reichtum!«
Die Augen des Jungen leuchteten voller Begeisterung auf, und Ilgur, der Ostap bisher kaum beachtet hatte, lenkte sein Pferd neben ihn und nickte ihm mit gierig glänzenden Augen zu. »Die Goldauflage dieser Kuppeln besteht, soviel ich weiß, nur aus dünn gehämmerten Goldplättchen. Doch bei der großen Zahl der Türme ist dies ein Schatz, um den es sich zu kämpfen lohnt. Aber diese Mauern bergen noch viel mehr Reichtümer. Bei Allah, hätte ich ein Heer, mit dem ich diese Stadt plündern könnte, würde ich der reichste und mächtigste Khan der Steppe!«
Schirin musste lächeln. In ihren Augen war Ilgur noch nicht einmal imstande, eine Truppe zusammenzubringen, die groß genug war, eine Karawane überfallen zu können, geschweige denn ein Heer, mit dem er solch eine große Stadt bedrohen konnte. Er war nur einer von vielen Söhnen des Emirs von Ajsary, dazu noch das Kind einer Nebenfrau ohne Aussicht auf eine andere Stellung als die eines Unteranführers bei einem seiner höher gestellten Brüder, falls diese ihn nach dem Tod des Vaters nicht direkt umbrachten. Die Entscheidung des Emirs, ihn den Russen als Geisel zu übergeben, mochte
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