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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Unwesen treiben soll. Der Wirt, der schon etliche Schafe an das Untier verloren hat, versprach ihnen zwanzig Rubel, wenn sie den Bären erlegen würden. Zuerst nahmen nur zwei meiner Männer dieses Angebot an, doch unterwegs beschlossen die Übrigen, sich ebenfalls einen Teil der Belohnung zu verdienen, und kehrten um. Ich habe gehofft, in Satka neue Männer anwerben zu können, doch dieser Sohn einesräudigen Schafes« – Jurij Gawrilitsch streifte dabei den Kutscher, der eben seine durchgegangenen Pferde eingefangen hatte, mit einem bitterbösen Blick – »verlor die Herrschaft über sein Gespann und brachte mein Töchterchen an den Rand des Todes.«
    Der Kaufmann schlug das Kreuz vor Aufregung mit nur zwei ausgestreckten Fingern, obwohl die offiziellen Lehren der Russischen Kirche drei Finger forderten, und verriet dadurch, dass er Umgang mit Altgläubigen hatte oder gar selbst zu ihnen gehörte.
    Sergej fiel es sofort auf, aber er wusste, dass es auch bei der Armee noch genug Männer gab, die nicht mit den Reformen des einstigen Patriarchen Nikon einverstanden waren und die seit alters überlieferten, russischen Riten für den einzig wahren Dienst an Gott hielten. Viele von ihnen verachteten die von der Griechischen Kirche übernommenen Änderungen, die nun für Popen und Gläubige gleichermaßen galten, und folgten jenen Geistlichen, die geheime Gottesdienste für Altgläubige abhielten. Normalerweise hätte er den Mann der Obrigkeit anzeigen müssen, aber er tat so, als habe er nichts bemerkt. »Wenn es dir recht ist, Jurij Gawrilitsch, könnt ihr unter dem Schutz meiner Männer weiterreisen.«.
    Der Kaufmann atmete sichtlich auf. »Ihr nehmt mir einen Stein vom Herzen, so groß wie ein Berg, Väterchen Offizier. Ich bin die letzte Stunde vor Angst vergangen, ein Bär könnte das Dunkel des Waldes verlassen und mich und mein armes Töchterchen fressen, oder ein Räuber mich töten und meiner Mascha Unsägliches antun wollen.« Er warf dabei einen prüfenden Blick über Sergejs Trupp, der mittlerweile zu ihnen aufgeschlossen hatte und in der Nähe auf weitere Anweisungen wartete.
    Sergej sah, wie der Kutscher sich damit abmühte, die nervösen Pferde wieder anzuspannen, und winkte zwei Dragoner zu sich. »Helft dem Mann!« Die Soldaten gehorchten rasch, denn bei einem reichen Mann wie Jurij Gawrilitsch bestand die Aussicht, ein gut gefülltes Glas Wodka als Belohnung zu erhalten oder vielleicht sogar ein paar Kopeken.
    Sergej nickte dem Kaufmann noch einmal zu und ließ sein Pferd rückwärts gehen, bis es neben Schirins goldfarbenem Hengst stand. »Ich möchte mich für deine Unterstützung bedanken. Ohne dich hätte ich den schweren Wagen nicht vor dem Sturz in den Abgrund bewahren können.«
    Schirin zuckte mit den Achseln. »Ich weiß selbst nicht, warum ich das getan habe. Es war ja doch nur ein Weib darin, und noch dazu eine Russin, die Soldaten gebären wird, welche mein Volk bedrohen und drangsalieren.«
    Den Ton, in dem sie es sagte, empfand Sergej wie ein Schlag ins Gesicht. Hatte er eben noch gehofft, Bahadur würde endlich seinen Trotz aufgeben, so dass sich vielleicht sogar ein freundschaftliches Verhältnis zwischen ihnen entspinnen konnte, blickte er nun in zwei graugrüne Augen, in denen der Hass auf ihn und alles Russische zu lesen war.
    »Du bist ein störrischer Narr! Ich sollte dich in Fesseln nach Moskau schleppen lassen!«, entfuhr es Sergej.
    Schirins Rechte fuhr an den Säbelgriff. Sie ließ ihn jedoch sofort wieder los und streckte Sergej beide Arme hin. »Tu dir keinen Zwang an, Russe, wenn du dich dann sicherer fühlst.«
    Schirins Spott traf Sergej noch schlimmer als ihre offen zur Schau getragene Abneigung. Für einen Augenblick war er versucht, Wanja zu rufen und ihm zu befehlen, die widerspenstige Geisel zu fesseln. Das wäre jedoch ein schlechter Lohn für Bahadurs Mithilfe an Maschas Rettung gewesen, sagte er sich, und würde den Jungen nur noch in seinen Vorurteilen bestärken.
    »Reize mich noch einmal, und ich werde es tun!«, sagte er und wandte Bahadur brüsk den Rücken zu. Doch er konnte das Gefühl nicht abschütteln, soeben eine Niederlage erlitten zu haben, die ihn in diesem Moment beinahe genauso kränkte wie jene in der Schlacht an der Narwa.
    Obwohl der Kutscher des Kaufmanns die Pferde nicht schonte, kam der Trupp nun nicht mehr so rasch voran, wie Sergej gehoffthatte, und so beschloss er, seine neuen Begleiter spätestens in Ufa abzuschütteln. Jurij Gawrilitsch

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