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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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ihm sogar das Leben gerettet haben.
    Schirins Betrachtungen wurden jäh unterbrochen, als Sergej sein Pferd zügelte und seinen Begleitern den Befehl gab, anzuhalten und abzusteigen. Im gleichen Moment stürzte ein junger Leutnant aus dem Tor und baute sich mit gezogenem Säbel vor ihm auf. Er wirkte dabei so nervös, dass Sergej sich Sorgen zu machen begann. »Hallo, Kamerad, was ist denn hier los? Fast könnte man glauben, die Schweden wären im Anmarsch?«
    »Eure Order, Hauptmann!« Der Leutnant streckte Sergej fordernd die Hand entgegen.
    Der Hauptmann zog den in Ölpapier eingewickelten Marschbefehl unter seinem Uniformrock hervor und reichte ihm dem Mann.
    Dieser überflog das Blatt und salutierte dann sichtlich erleichtert. »Leutnant Radew zu Diensten, Väterchen Hauptmann. Verzeiht, wenn ich Euch Ungelegenheiten bereitet habe, doch mein Befehl lautet, wachsam zu sein.«
    Sergej fühlte ein Kribbeln in den Adern. »Herrscht bereits Krieg?« Radew schüttelte den Kopf. »Kein Krieg, Väterchen. Nur ein Aufstand – oder eigentlich sogar zwei. In Astrachan haben sich die letzten Strelitzen erhoben, die Väterchen Zar begnadigt und dort angesiedelt hatte, und in der Kosakensteppe brennt es ebenfalls.«
    Für Sergej waren das ausgesprochen schlechte Nachrichten. Jetzt, wo die Schweden früher oder später einmarschieren würden, wäre es eine Strafe für ihn, zu einem zweiten Aufstand abkommandiertzu werden, denn er wollte es den Soldaten des zwölften Carl heimzahlen, dass er wie ein Hase vor ihnen davongerannt war.
    »Nun, Söhnchen, die Armee des Zaren wird mit diesen Aufständen schon fertig werden. Immerhin haben wir gerade die Wogulen und Tataren in Sibirien zur Räson gebracht«, versuchte er den Leutnant aufzumuntern, wobei er sich vor allem selbst Mut machen wollte.
    Der Offizier der Wache ließ die Gruppe nun ohne weitere Fragen passieren. Erleichtert befahl Jurij Gawrilitsch seinem Kutscher, die Pferde anzutreiben, und rieb sich dabei unbewusst die Hände, denn normalerweise unterzog man Kaufleute wie ihn einem strengen Verhör, ehe man sie in die Stadt ließ. Über seiner Erleichterung vergaß er nicht, Sergej eine gute Herberge zu empfehlen, die mit sauberen Betten und gutem Essen aufwarten konnte.
    Der Hauptmann sah dem Kaufmann an, dass ihm die Nachricht von den Aufständen Angst einjagte und er inständig hoffte, weiter unter dem Schutz der Soldaten reisen zu können. Auch wenn die Kerngebiete des Aufstands weiter südwärts lagen, konnten marodierende Scharen bis in diese Gegenden vordringen. Einem Trupp Soldaten ging derlei Gelichter gerne aus dem Weg, doch ein allein reisender Kaufmann stellte selbst unter dem Schutz bewaffneter Knechte eine willkommene Beute dar.
    Die Situation stürzte Sergej in einen Zwiespalt. Einerseits wäre er Gawrilitsch gerne losgeworden, denn es gehörte nicht zu seinen Pflichten, einer Privatperson Schutz zu gewähren. Andererseits hatte er die Tochter des Mannes nicht gerettet, um sie und ihren Vater nun einem ungewissen Schicksal auszuliefern. »Wie es aussieht, werden wir noch länger Reisegefährten sein«, sagte er seufzend zu dem Kaufmann und schalt sich im Stillen einen gutmütigen Narren.
    Gawrilitsch nickte erleichtert und schwor, der Heiligen Jungfrau von Kasan dafür eine Kerze zu spenden. Jetzt aber führte er Sergejs Trupp zu der Herberge. Dort erregte die Gruppe erhebliches Aufsehen, denn der Wirt nahm normalerweise nur Kaufleute und derenKnechte auf und war nicht begeistert, Soldaten vor sich zu sehen, von denen man nicht wusste, ob sie zahlten. Da er Jurij Gawrilitsch von früheren Aufenthalten her kannte, hieß er Sergej und dessen Leute jedoch willkommen, sorgte dafür, dass sie gut untergebracht wurden, und ließ ihnen ein reichliches Mahl auftischen.
    Da nicht genügend Schlafräume vorhanden waren, musste Schirin eine Kammer, in der nur zwei Betten standen, mit Ostap und vier weiteren Geiseln teilen. Zu ihrer Erleichterung schafften ein paar Knechte vier Strohsäcke herbei, und da sie sich nicht um einen Platz streiten wollte, breitete sie ihre Decke auf dem Sack aus, der in der dunkelsten Ecke des Raumes lag. Da Ostap den Platz neben ihr wählte, fühlte sie sich vor einer Entlarvung weitestgehend sicher. Die anderen vier schauten nur kurz in die Kammer, um ihr Nachtlager zu wählen, und liefen dann hungrig nach unten. Nachdem Ostap ihnen gefolgt war, nahm Schirin die Gelegenheit wahr, sich mit dem Wasser aus dem Eimer, den ihr ein Wirtsknecht

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