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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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den Zaren und den Zarewitsch!« Er stürzte den Inhalt des Glases so hastig hinunter, dass ihm ein Tropfen in die Luftröhre geriet und er von einem Hustenkrampf geschüttelt wurde.
    Jakowlew bedachte ihn mit einem nachsichtigen Blick. »Deine Treue zum Zaren in allen Ehren, Sergej Wassiljewitsch, doch ich sage dir, Pjotr Alexejewitsch ist ihrer nicht wert. Er ganz allein trägt die Schuld an diesem verdammten Krieg, denn er hat sich mit den von Gott und Christus verfluchten Polen zusammengetan, die seit jeher unsere Feinde sind, und damit die Schweden erst herausgefordert. Carl XII. wird ihn für seine Vermessenheit bestrafen und jenes Drecksnest in den finnischen Sümpfen, das der Zar in frevelhaftem Größenwahn nach sich selbst benannt hat – und das noch dazu in der Sprache ausländischer Ketzer! –, dem Erdboden gleichmachen. Sankt Petersburg! Ha!«
    Jakowlew spie diesen Namen aus und füllte die beiden Gläser erneut. Statt einen weiteren Trinkspruch auszugeben, redete er weiter. »Der Schwedenkönig wird Pjotr Romanow als Mönch in ein Kloster im Eismeer verbannen und Alexej Petrowitsch auf den Thron setzen. Im Gegensatz zu seinem Vater ist der Zarewitsch ein echter Russe, der die heilige Kirche ehrt und die überlieferten Sitten und Gebräuche achtet. Auf ihn musst du trinken, Sergej Wassiljewitsch, und nicht auf diesen Ketzerzaren, von dem Gott Seine Hand abgezogen hat!«
    Jakowlews Worte grenzten nun nicht mehr an Hochverrat, sondern stempelten den Mann zum Staatsfeind ab. Was Sergej jedoch am meisten erschütterte, war die Tatsache, dass der Kommandant sich so offen äußerte. Was mochte während der zwei Jahre, die er in Sibirien verbracht hatte, in Russland geschehen sein, wenn ein Offizier derartige Reden zu führen wagte?
    Jakowlew bemerkte Sergejs Verwirrung und klopfte ihm gönnerhaft auf die Schulter. »Glaube mir, Sergej Wassiljewitsch, der Stern des Zaren ist im Sinken begriffen. Nun solltest du dein Auge auf den Zarewitsch richten. Das wäre weise, mein Freund.«
    Der Kommandant hielt ihm das Glas hin, und diesmal griff Sergej beinahe begierig danach. Auch wenn der Schnaps ihm die Eingeweide fast versengte, so hatte er diese Stärkung jetzt bitter nötig. Jakowlew berichtete unterdessen mit süffisanter Stimme von den Aufständen, die, wie er sagte, durch die ungeheure Steuerlast entbrannt waren, die der ketzerische Zar seinem Volk auferlegt hatte, um den selbst vom Zaun gebrochenen Krieg zu finanzieren.
    »Der Zar ist ja nicht einmal mehr Herr im eigenen Land! Wie will er dann gegen die Schweden bestehen, gegen die beste Armee, welche die Welt je gesehen hat? Die Soldaten Carls XII. werden unsere Regimenter hinwegfegen wie der Wind die Weizenspreu. Ich danke Gott und unserem Heiland, dass ich hier in Ufa zurückbleiben konnte und mich nicht den Schweden entgegenstellen muss. Wenn du auf meinen Rat hören willst, dann bleib in Moskau in der Nähe des Zarewitschs. Sobald die Nachricht von der endgültigen Niederlage seines Vaters dort eintrifft, benötigt Alexej Petrowitsch Soldaten und Offiziere, die ihm treu zur Seite stehen. Es würde sich bestimmt für dich lohnen, Sergej Wassiljewitsch, denn der Rang eines Majors ist dir dort gewiss, vielleicht bringst du es sogar zum Oberst.«
    Sergej verspürte im ersten Moment den Wunsch, Jakowlew seine Treue zum Zaren mit dem Säbel zu beweisen, tat dann aber dessen Worte als das Gestammel eines Betrunkenen ab. »Ihr wolltet mir eichenBrief nach Moskau mitgeben, Väterchen«, erinnerte er ihn, um das verfängliche Gespräch wieder in normale Bahnen zu lenken.
    Jakowlew nickte eifrig, setzte sich und nahm ein Blatt Papier zur Hand. Mit kratzender Feder schrieb er einige Zeilen darauf, faltete es dann zusammen und versiegelte es. »Der Brief ist für meinen Freund, Major Grigorij Iwanowitsch Lopuchin. Er gehört zur Leibwache des Zarewitschs und wird dich mit Freuden in der Hauptstadt willkommen heißen.« Noch während er es sagte, verteilte der Kommandant den letzten Rest des Wodkas auf die beiden Gläser, wobei das seine ein wenig überlief, Sergejs hingegen nur zur Hälfte gefüllt wurde.
    »Auf unseren guten Freund und Vorgesetzten Pawel Nikolajewitsch Gjorowzew, den großen General, auf den Zarewitsch und unser Mütterchen Russland, auf uns selbst und darauf, dass mein verdammter Bursche endlich mit einer neuen Wodkaflasche kommt, denn die hier ist leer!« So betrunken Jakowlew auch sein mochte, brachte er es doch fertig, das volle Glas bis an die

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