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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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jetzt besser?«
    Sergej versuchte, seiner Stimme einen gleichmütigen Klang zu geben. »Ich hatte einen Albtraum.«
    Wanja nickte verständnisvoll. »Dann ging es wohl wieder um die Schweden.«
    Sergej sah verwundert zu ihm auf. »Wie kommst du darauf?«
    Der Wachtmeister grinste über sein breites Gesicht. »Aber Sergej Wassiljewitsch! Ihr träumt doch immer wieder von den Schweden. Vielleicht wisst Ihr am Morgen nichts mehr davon, aber da wir meistens das Quartier miteinander teilen, habe ich Euch oft genug im Schlaf reden hören.«
    Sergej war sich dessen bislang nicht bewusst gewesen. Wohl hatte er immer wieder von der Schlacht an der Narwa geträumt, aber nicht geahnt, dass ihn die schmähliche Flucht nach sieben Jahren noch so lebhaft beschäftigte. Irritiert schüttelte er den Kopf und zuckte im gleichen Moment zusammen, denn ihm war, als schlüge ein Riese mit dem Hammer auf ihn ein. Er griff sich an die Schläfen, stöhnte aber schon bei der Berührung seiner Haarspitzen auf. »Beim heiligen Wladimir, ich muss dem Wirt ein paar mit der Reitpeitsche überziehen. Sein Wodka ist das grässlichste Zeug, das ich je getrunken habe!«
    »Damit tut Ihr dem armen Mann aber unrecht, denn sein Wodka ist wirklich gut. Doch bei der Menge, die Ihr gestern in Euch hineingeschüttet habt, hätte selbst ich Schwierigkeiten, auf den Beinen zu bleiben.« In Wanjas Stimme schwang eine gewisse Hochachtung mit, denn bislang hatte der wackere Kerl niemanden getroffen, der in der Lage gewesen wäre, ihn unter den Tisch zu trinken.
    Sergej hielt sich den Kopf. »Das nächste Mal werde ich Bahadur mit der Reitpeitsche den nackten Hintern versohlen, sollte er mich noch einmal so reizen.«
    »Dann nehmt ihm vorher seine Waffen weg. Ich hatte gestern Angst, er könnte seinen Dolch ziehen, und ich müsste ihm dann meinen Säbel durch den Leib rennen. Ihr wisst ja, Sergej Wassiljewitsch, der Zar liebt es nicht, wenn seine Geiseln beschädigt werden.«
    Wanja blickte Sergej dabei so treuherzig an, dass dieser trotz seiner Kopfschmerzen lachen musste.
    »Wir beide werden diesen widerspenstigen Tatarenbalg schon noch zähmen, mein Guter. Wobei ich sagen muss, es reizt mich wirklich, Bahadur den Hosenboden stramm zu ziehen. Das Bürschlein scheint von seinem Vater und seiner Mutter arg verzärtelt worden zu sein.«
    »Ein Tatar und verzärtelt?« Wanja wiegte ungläubig den Kopf. Für ihn glich jeder Tatar einem wilden Tier, bei dem man aufpassen musste, dass es einen nicht biss, und dieser Bahadur stellte trotz seiner prächtigen Hülle ein besonders widerspenstiges Exemplar seines Volkes dar.

XI.
    Schirin träumte in dieser Nacht ebenfalls wirr. Zunächst hielt Sergej sie in seinen Pranken und schüttelte sie, bis sie glaubte, das Rückgrat würde ihr brechen. Doch anders als in der Realität zog sie den Säbel und hieb ihm mit einem schnellen Schlag den Kopf ab. Dieser rollte lange Zeit im Kreis um sie herum, und als er endlich liegen blieb, sah sie in ein bleiches, trauriges Antlitz, dessen blaue Augen sie vorwurfsvoll anblickten. Entsetzt drehte Schirin dem Ding den Rücken zu, stieß gegen Ostap und war sofort hellwach.
    Der Junge schien ebenfalls von Albträumen geplagt zu werden. »Ich will nach Hause!«, jammerte er vor sich hin und sprach Namen aus, von denen Schirin wusste, dass sie seiner Mutter und seinen Schwestern gehörten. In ihren Augen war es grausam, einen so kleinen Jungen seiner Familie zu entreißen und in ein fernes Land zu schleppen. Da sie nicht mehr einschlafen konnte, stellte sie sich vor, wie sie sich an den Russen im Allgemeinen und an Sergej im Besonderen rächen konnte. Sie war gerade bei einer besonders unangenehmen Foltermethode angekommen, als jemand gegen die Tür polterte.
    »Aufstehen, Gesindel!«
    Es war jener Dragoner, der Schirins Pferd am ersten Tag die Peitsche übergezogen hatte und dem es Spaß zu machen schien, die Geiseln zu quälen. Als sie nach unten kamen, teilte Wanja ihnen mit, dass man einen Rasttag einlegen würde. Während er selbst den Gasthof verließ, legten die Dragoner der Begleitmannschaft seine Anweisungen auf ihre Weise aus, denn um ihre Ruhe zu haben, trieben sie die Geiseln nach dem Frühstück wie Vieh in ihre Kammern und schlossen von außen zu. Da niemand die Fensterläden vor den vergitterten Öffnungen entfernt hatte und das Öl der kleinen Tonlampeverbraucht war, konnte man kaum die Hand vor Augen sehen. Ilgurs Sklaven Bödr gelang es nach einiger Mühe, einen der Läden

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