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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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den unbequemen Straßen vorgezogen, aber die Miene des Hauptmannsverriet ihm, dass dieser sich nicht umstimmen lassen würde. Gawrilitsch ärgerte sich nun zum zweiten Mal an diesem Morgen über Sergej Tarlow, denn der Offizier war der einzige Mann in der Wirtsstube gewesen, der Mascha keinen zweiten Blick gegönnt hatte. Das war kein gutes Omen für seine Pläne, den Hauptmann als Schwiegersohn einzufangen. Gawrilitsch bedauerte es, denn Sibirien brauchte Männer, die ihren eigenen Kopf besaßen und zu befehlen verstanden. Aber Sergej Tarlow schien die Aussicht auf eine blutige Schlacht verlockender zu sein als eine Brautnacht mit seiner Tochter. Gawrilitsch dachte allerdings nicht daran, schon jetzt alle Hoffnungen zu begraben, und sollte er wirklich nicht zum Ziel kommen, so bot diese Gruppe ihm doch Sicherheit. Er trug einiges an Geld gut eingenäht in seiner Kleidung, doch das würde ihm auch nicht helfen, wenn er überfallen wurde, denn Räuber kannten diese Gepflogenheiten und pflegten daher ihre Opfer bis aufs Hemd auszuziehen. Der Offizier und seine Dragoner hielten Lumpen und Diebe besser fern als ein Gebet an den heiligen Gawrilij, und diesen Schutz wollte er nicht verlieren.
    Sergej achtete nicht mehr auf den Kaufmann, ihn drängte es, die Stadt zu verlassen. So trieb er seine Männer an, sich zu beeilen, und drohte einigen der Geiseln, die ihm nicht schnell genug waren, mit der Peitsche. Schirin spürte, dass ihm Unangenehmes widerfahren sein musste. Sie gönnte ihrem Aufpasser jeden Ärger und nahm sich vor, Sergej auf der weiteren Reise genau zu beobachten, um vielleicht einen Vorteil aus seinen Problemen schlagen zu können.

ZWEITER TEIL

Die goldenen Kuppeln

I.
    Die schier endlose Ausdehnung des Waldes, durch den sie nun ritten, bedrückte Schirin und nahm ihr den Atem. Zumeist säumten Birken den schmalen Weg, die mit ihren weißen Stämmen und den kleinen, hellgrünen Blättern wie Geister aus einer anderen Welt wirkten. Hinter diesen erhoben sich Tannen, mächtige, dunkle Gestalten, die im steten Wind ächzten und gegen das Schicksal anzuschreien schienen, welches sie auf einem einzigen Platz gefangen hielt. Zwischen ihnen wuchsen noch andere Bäume, welche Schirin, die aus einer nur spärlich von Gehölzen durchzogenen Steppe stammte, fremd und in ihrer Düsternis unheimlich waren. Sie hätte gerne ihre Namen gewusst, denn mit ihnen hätte sie sich gegen die Geister schützen können, die sie bewohnen mochten, aber sie wollte weder die Dragoner noch Wanja danach fragen oder gar Sergej darauf ansprechen.
    Mit dem Hauptmann hatte sie seit ihrem Zusammenstoß in Ufa kein Wort mehr gewechselt, und immer wenn er zu ihr hinblickte, legte sie unwillkürlich die Rechte auf den Knauf ihres Säbels. Mehr als alles andere in diesem Russland war er zum Synonym des Feindes geworden, und sie missgönnte ihm sogar die Tatsache, dass er sich inmitten der weißen Birken wohl zu fühlen schien. Hatte sie in Ufa den Eindruck gehabt, irgendetwas würde ihn niederdrücken, so wirkte er nun fröhlicher und selbstbewusster denn je. Gerade riss er ein paar Birkenblätter ab, zerrieb sie zwischen Daumen und Zeigefinger und sog wie ein Süchtiger den scharfen Geruch ein.
    »Das öffnet die Nase und befreit die Lungen, Söhnchen.« Wanja war Schirins Blicken gefolgt und hatte ein weiteres Mal seinen Vorsatz vergessen, kein Gespräch mehr mit diesem hochnäsigen Tatarenprinzlein zu beginnen.
    »Meine Nase ist frei, und meine Lungen könnten nicht besser sein.« Schirin hatte sich vorgenommen, alles Russische zu verachten, und dabei einen Zustand erreicht, in dem sie keinerlei Vernunftgründen mehr zugänglich war. Brüsk wandte sie Wanja den Rücken und zügelte Goldfell ein wenig, um hinter den Wachtmeister zurückzufallen. Prompt kam sie dabei einem der hinter ihr reitenden Dragoner zu nahe und wurde von ihm angeschnauzt.
    »Russischer Hund«, murmelte Schirin kaum hörbar. Auch wenn sie es auf dieser Reise manchmal vergaß, war sie nur ein Mädchen und kein junger Krieger, der diese Muschiks mit Leichtigkeit in ihre Schranken hätte weisen können. Dabei fiel es ihr zunehmend schwerer, ihr Temperament zu zügeln, und mehr als einmal hatte sie sich überlegt, ob sie Sergej Wassiljewitsch Tarlow, wie ihr Peiniger von den anderen Russen genannt wurde, nicht einfach niederstechen und davonreiten sollte, um auf der Flucht durch eine gnädige Kugel erlöst zu werden. Aber immer wieder zwang sie sich, durchzuhalten, bis sie

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