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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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in dem das Schiff herumschwang, verlor sich der Wind, und die Fahne fiel schlaff herab. Es war wie ein Symbol nahenden Unheils.
    Pjotr Alexejewitsch schien keine Furcht zu empfinden, denn er kletterte mit kraftvollen Bewegungen auf das Deck hinab, feuerte seine Matrosen mit beinahe übermütiger Miene an und packte auch selbst mit an. Der Gaffelbaum des Fockmasts schwang herum, und sein Segel blähte sich wieder. Das Hauptsegel aber flatterte wie ein Wäschestück im Wind, denn einer der Matrosen hatte in der Aufregung vergessen, eine Leine zu lösen. Ein Offizier holte das Versäumte nach, doch das Segel fing den Wind so schnell ein, dass dem Mann die Leine aus der Hand gerissen wurde und der Gaffelbaum frei aller Fesseln herumschwang.
    Schirin sah als Einzige die Gefahr, da der Zar sich ganz auf die Verfolger konzentrierte. Unwillkürlich stieß sie einen gellenden Schrei aus. »Zu Boden, Herr, zu Boden!«
    Pjotr Alexejewitsch reagierte instinktiv und warf sich nieder. Im selben Augenblick schoss das Rundholz so knapp über ihn hinweg, dass es ihm den Hut und die einfache Rosshaarperücke vom Kopffegte. Der Zar war sofort wieder auf den Beinen, packte die Befestigungsleine des Gaffelbaums und schlang sie in fliegender Eile um einen Belegnagel.
    »Los! Hilf mir, das Segel zu trimmen!«, herrschte er Bahadur an.
    Wie in Trance befolgte Schirin seine Anweisungen, und erst als das Segel sich im Wind wölbte und das Schiff Fahrt aufnahm, erinnerte sie sich daran, dass sie Pjotr Alexejewitsch eigentlich hatte umbringen wollen. Stattdessen hatte sie ihn vor einem schmählichen Ende bewahrt und ihm gleichzeitig bei dem Versuch geholfen, seinen schwedischen Feinden zu entkommen. Es war jedoch nicht die Zeit, in Selbstvorwürfen zu versinken, denn die schwedischen Schiffe waren schon so nahe, dass man die Menschen an Bord erkennen konnte. Schirin spürte die Gefahr, die von ihnen ausging. Eigentlich hätte sie diese Fremden als Verbündete ansehen müssen, aber sie war sich im Klaren darüber, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt war, auf Befreiung zu hoffen. Im Kampf würden die Schweden wohl kaum einen Unterschied zwischen Russen und Sibiriern machen, und die Kanonen, die sie jetzt feuerbereit machten, vernichteten unterschiedslos Freund und Feind. Der Wind trug einen scharfen Knall heran, und am Bug des vordersten Seglers verwehte eine weiße Qualmwolke. Die Kugel schlug nur wenige Pferdelängen seitwärts der Sankt Nikofem ins Wasser und erzeugte eine hohe Fontäne.
    »Bringt das verdammte Schiff schärfer an den Wind«, schrie der Zar die beiden Matrosen am Steuer an und eilte ihnen zu Hilfe.
    In dem Moment tauchte Sergej auf, der es unter Deck nicht mehr ausgehalten hatte. Er blickte mit zusammengekniffenen Augen zu den Schweden hinüber und ballte die Fäuste. »Die Hunde holen auf! Wenn kein Wunder geschieht, wird es zum Kampf kommen.«
    »Damit kannst du verdammt Recht haben, Tarlow. Bereite die Abwehr einer Entermannschaft vor!«
    Sergej zählte drei Dutzend Matrosen auf ihrem Schiff und versuchte, die Kampfkraft der Schweden abzuschätzen. Das Ergebnis warniederschmetternd, denn die eigenen Leute würden es nicht einmal mit der Besatzung eines einzigen feindlichen Seglers aufnehmen können. »Euer Majestät, wir müssen die Sibirier bewaffnen!«
    Der Zar nickte knapp. »Tu das!« Während Sergej unter Deck eilte, feuerten die Schweden zwei Kanonen ab, doch die unruhige See bewahrte die Sankt Nikofem vor Schaden. Eine Kugel klatschte wenige Schritte neben dem Schiff ins Wasser, die andere heulte über das Deck, ohne mehr Schaden anzurichten, als die aus dem Schiffsbauch kletternden Geiseln zu erschrecken.
    Schirin sah Sergej auf sich zukommen und nahm den plumpen Säbel entgegen, den er ihr mit einem entschuldigenden Lächeln hinhielt. »Etwas Besseres habe ich nicht gefunden!« Offensichtlich dachte er an Bahadurs Waffe, die in Sankt Petersburg zurückgeblieben war.
    »Damit muss es auch gehen!« Schirin hieb ein paarmal durch die Luft, um sich an das Gewicht des Säbels zu gewöhnen, stieß fauchend die Luft aus und reckte die Klinge gegen das vorderste schwedische Schiff, hinter dessen Stückpforten man die Bronzemäuler der Kanonen erkennen konnte, die von den Mannschaften gerade wieder geladen und ausgerichtet wurden. Jeden Moment konnten sie die Sankt Nikofem mit tödlichem Eisenhagel überschütten.
    Schirin wurde von hinten gepackt und gegen das Steuerruder gestoßen. »Hilf den Steuerleuten!« Der Zar

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