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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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ersten Moment fürchtete sie, er wolle sie ins Wasser stoßen, doch da fasste er ihren Unterarm und zog sie auf das sichere Deck.
    »Es fließt kaltes Blut in deinen Adern, Bürschchen. Mal sehen, ob du noch so standhaft bleibst, wenn dir der Seewind um die Nase pfeift.« Pjotr Alexejewitsch schien über Nacht seine gute Laune wiedergewonnen zu haben, denn er half auch Ostap lachend an Deck und befahl einigen Matrosen, sich um den Rest der Leute zu kümmern. Auf einmal schien es ihm nicht schnell genug zu gehen, denn Jemeq, der als Letzter hochkletterte, hing noch an der Bordwand, als der Zar seine Männer anwies, die Leinen loszuwerfen.
    Frei vom Land schwankte der Segler bedenklich, so dass Ostap und einige andere sich erschrocken auf die Planken plumpsen ließen. Sie wurden sofort von den Matrosen, denen sie im Weg saßen, aufgescheucht und sammelten sich wie eine Herde aneinander gedrängter Schafe am Bug des Schiffes. Schirin war den Matrosen ebenfalls ausgewichen, hatte sich aber auf das hohe Deck am Heck der Sankt Nikofem zubewegt, auf dem der Zar stand. Er war ihr wahrer Feind, und ihn musste sie im Auge behalten, wenn sie einen Weg finden wollte, ihn zu töten.
    Pjotr Alexejewitsch stellte sich übermütig lachend ans Ruder und brüllte seine Leute an. »Setzt die Fock, damit das Steuer greift, ihr faulen Hunde!« Einige Matrosen liefen zum vorderen Mast und lösten die Leinen, die um die beiden liegenden Bäume und etliches an derbem Stoff gewickelt waren, während andere ein dickes Seil packten und auf Anweisung eines Offiziers zu ziehen begannen. Für eine Weile vergaß Schirin ihren Vorsatz, den Zaren zu belauern, und sah fasziniert zu, wie der obere der beiden Bäume noch immer waagrecht nach oben glitt und eine sich im Wind blähende Wand aus Stoff freigab. Das Schiff nahm Fahrt auf, gerade so, wie die kleinen Flussboote, wenn sie unter ihrem Segel stromab fuhren. Jetzt begriff sie, dass bei diesem vergleichsweise riesigen Schiff keine Dämonen benötigt wurden, um es zu bewegen. Allein die Kraft desWindes, der hier stärker wehte als auf dem Land, trieb die Sankt Nikofem vorwärts, ohne dass Ruder und Stangen zu Hilfe genommen werden mussten.
    Als die Ufer der Newa hinter ihnen zurückblieben und das Schiff in den von schaumgekrönten Wellen bedeckten Finnischen Meerbusen hinaussteuerte, wurde ein weiteres, noch viel größeres Segel gesetzt, das man den Rufen nach auch Großsegel nannte, und zusätzlich ein paar kleinere oben in der schwindelnden Höhe der Mastspitzen. Dadurch legte sich die Sankt Nikofem halb auf die Seite, so dass das Deck schräg stand und man sich gut festhalten musste. Schirin hatte an ihrer Angst zu kauen, und es kostete sie viel Kraft, ihre gleichmütige Miene beizubehalten. Als sie dann aber die glücklich gelöste Miene des Zaren sah, wurde ihr klar, dass ihr keinerlei Gefahr drohte, und sie entspannte sich ein wenig.
    Pjotr Alexejewitsch schien den Wind zu genießen, der ihm um die Ohren blies, und als er den Blick des jungen Tataren auf sich gerichtet sah, zwinkerte er dem vermeintlichen Jüngling zu. »So etwas hast du noch nie erlebt, nicht wahr, Kleiner?«
    Schirin schüttelte den Kopf. »Wahrlich nicht! Es ist wie ein Wunder.«
    »Das ist es wirklich! Als ich Zar wurde, gab es kein einziges russisches Schiff, und nun bin ich bald so weit, die Schweden auch zur See herausfordern zu können.« Der Zar freute sich sichtlich über Bahadurs beinahe kindliches Staunen und die Anerkennung, die dem Jüngling ins Gesicht geschrieben stand. Während er die Sankt Nikofem in das offene Meer hinaussteuerte, erzählte er Bahadur gut gelaunt von seinen ersten Versuchen, auf dem See von Pleschtschejewo zu segeln, und von den beiden Holländern Brand und Timmermann, die ihm die Kunst des Schiffbaus und der Steuerung beigebracht hatten. Während er gleichzeitig redete und die See im Auge behielt, war es, als fiele die Last der Sorgen von ihm ab, und er wirkte auf einmal viele Jahre jünger.
    Schirin ahnte, dass der Zar hier auf dem Meer seine Gedanken klärte,um neue Kraft zu schöpfen. Als Pjotr Alexejewitsch schwieg, arbeitete sie sich Schritt für Schritt bis an die Heckreling vor und klammerte sich dort wieder fest. Das Schiff stieg unter ihr hoch und sank Schwindel erregend schnell wieder in die Tiefe, so dass ihr leicht übel wurde. Um nicht hinsehen zu müssen, zwang sie sich, ihren Blick über die graue See zu richten. Anders als am Vortag war die Luft klar, und man konnte weit

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