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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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sentimental oder alles auf einmal. Als Arie Grote mit dem Kerstkrans kommt, sind Faktor van Cleef, Vize Fischer, Ouwehand, Baert und der junge Oost in einem Zustand zwischen reichlich betrunken und sturzbetrunken. Marinus, de Zoet und Twomey, alle drei noch einigermaßen nüchtern, sind die Einzigen, die sich mit den japanischen Festteilnehmern unterhalten.
    «Ogawa-san?» Goto Shinpachi macht ein besorgtes Gesicht. «Sind Sie krank?»
    «Nein, nein ... Verzeihung. Hat Goto-san mich etwas gefragt?»
    «Es war eine Bemerkung über die schöne Musik.»
    «Ich persönlich», erklärt Dolmetscher Sekita, «höre lieber beim Schweineschlachten zu.»
    «Oder wenn jemandem ein Stein herausgeschnitten wird», sagt Arashiyama, «nicht wahr, Ogawa?»
    «Ihre Schilderungen haben mir den Appetit verdorben.» Sekita stopft sich ein ganzes russisches Ei auf einmal in den Mund. «Diese Eier sind wirklich ausgezeichnet.»
    «Ich würde eher auf chinesische Kräuter vertrauen», sagt Nihi, der affengesichtige Spross einer rivalisierenden Dynastie von nagasakischen Dolmetschern, «als auf das Messer eines Niederländers.»
    «Mein Vetter», sagt Arashiyama, «hat bei seinem Stein auch auf Kräuter vertraut ...», Stellvertreter Fischer schlägt auf den Tisch und bricht in wieherndes Gelächter aus, «... und ist auf eine Weise gestorben, die Ihnen erst recht den Appetit verderben würde.»
    Faktor van Cleefs gegenwärtige Dejima-Frau, in einem Kimono mit Schneekristallen und klimpernden Armreifen, schiebt die Tür auf und verbeugt sich schüchtern vor den Anwesenden. Mehrere Gespräche kommen abrupt zum Stillstand, und nur die Gesitteten unter den Gästen verkneifen sich das Glotzen. Sie flüstert van Cleef etwas ins Ohr, und sein Gesicht hellt sich auf; er flüstert etwas zurück und haut ihr auf den Hintern wie ein Bauer seinem Ochsen. Sie spielt neckisch die Erboste und zieht sich in van Cleefs Privatgemächer zurück.
    Uzaemon kommt der Verdacht, dass van Cleef die Szene inszeniert hat, um mit seinem Besitz zu prahlen.
    «Zu schade», sagt Sekita leise, «dass sie nicht auf der Speisekarte steht.»
    Wenn de Zoet seinen Willen durchgesetzt hätte , denkt Uzaemon, wäre auch Orito jetzt eine Dejima-Frau ...
    Cupido der Sklave überreicht jedem der vierundzwanzig Gäste eine Flasche.
    ... und müsste sich nur einem Mann hingeben , Uzaemon beißt sich auf die Lippe, anstatt vielen.
    «Ich hatte schon befürchtet», sagt Sekita, «sie hätten diesen schönen Brauch aufgegeben.»
    Da redet dein schlechtes Gewissen , denkt Uzaemon. Aber was, wenn mein schlechtes Gewissen berechtigt ist?
    Der malaiische Diener Philander folgt Cupido und öffnet die Flaschen.
    Van Cleef erhebt sich und schlägt einen Löffel an sein Glas, bis die Gäste ihm ihre Aufmerksamkeit schenken. «Diejenigen von Ihnen, die schon unter Faktor Hemmij und Faktor Snitker die Ehre hatten, dem niederländischen Neujahrsessen beizuwohnen, werden den Trinkspruch der Hydra kennen ...»
    Arashiyama flüstert Uzaemon zu: «Was ist eine Hydra?»
    Uzaemon weiß es, aber er zuckt die Achseln und lauscht van Cleefs Ansprache.
    «Jeder Gast gibt einen Trinkspruch aus», sagt Goto Shinpachi, «und ...»
    «... alle werden mit jedem Glas betrunkener», rülpst Sekita.
    «... der dazu dienen soll, aus unseren vereinten Wünschen», van Ceef schwankt, «eine ... eine ... glänzende Zukunft zu schmieden.»
    Wie der Brauch es vorschreibt, schenkt jeder Gast seinem Nachbarn ein.
    «Also, meine Herren», van Cleef erhebt das Glas, «auf das neunzehnte Jahrhundert!»
    Die Anwesenden wiederholen den Trinkspruch, auch wenn er für den japanischen Kalender keine Bedeutung hat.
    Uzaemon merkt, dass ihm übel wird.
    «Ich schenke euch die Freundschaft», sagt Stellvertreter Fischer, «zwischen Europa und dem Osten!»
    Wie oft , denkt Uzaemon, muss ich mir diese hohlen Phrasen wohl noch anhören?
    Dolmetscher Kobayashi sieht Uzaemon an. «Auf bald Genesung von sehr gute Freunde, Ogawa Mimasaku und Gerritszoon-san.» Jetzt muss Uzaemon aufstehen und sich vor Kobayashi, dem Älteren, verbeugen, denn er weiß, dass dieser in der Dolmetscherzunft intrigiert, damit sein Sohn über Uzaemons Kopf hinweg in den zweiten Rang befördert wird, wenn Ogawa der Ältere sich dem Unausweichlichen beugt und sich aus seiner begehrten Stellung zurückzieht.
    Als Nächstes ist Dr. Marinus an der Reihe. «Auf die Wahrheitssuchenden.»
    Für die Inspektoren bringt Dolmetscher Yoshio seinen Trinkspruch auf Japanisch

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