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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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Augen sind wachsam und klar.
    Uzaemon schickt die Diener fort. «Ich bitte um Verzeihung, dass ich Ihnen nicht zugehört habe.»
    Otane nimmt die Entschuldigung schweigend an.
    «Es sind zwei Tagesreisen vom Lehen Kyōga. Haben Sie in einer Herberge übernachtet?»
    «Die Reise war unumgänglich, und jetzt bin ich hier.»
    «Fräulein Aibagawa sprach stets mit großer Achtung von Otane-san.»
    «Bei ihrem zweiten Besuch in Kurozane», ihr Dialekt hat etwas Bodenständig-Würdevolles, «sprach Fräulein Aibagawa ähnlich achtungsvoll von Dolmetscher Ogawa.»
    Ihre Füße mögen wund sein , denkt Uzaemon, aber sie kann noch treten. «Es kommt selten vor, dass ein Mann bei der Wahl seiner Ehefrau seinem Herzen folgen kann. Ich musste mich dem Befehl meiner Familie beugen. Das ist der Lauf der Welt.»
    «Fräulein Aibagawas drei Besuche sind kostbare Schätze für mich. Trotz des großen Rangunterschiedes war und bleibt sie eine geliebte Tochter.»
    «Soweit ich weiß, liegt Kurozane am Fuß des Weges, der auf den Shiranui führt. Sind ...», Uzaemon hält die Hoffnung nicht länger aus, «... sind Sie ihr vielleicht begegnet, seit sie in den Schrein eingetreten ist?»
    Otanes Gesicht drückt ein schmerzliches Nein aus. «Jeder Kontakt ist verboten. Zweimal im Jahr liefere ich an der Pforte Arzneien für Meister Suzaku ab, den Arzt des Schreins. Aber kein Ungeweihter darf den Schrein betreten, wenn er nicht von Meister Genmu oder Fürstabt Enomoto eingeladen wurde. Am allerwenigsten ...»
    Die Tür geht auf, und die Dienerin von Uzaemons Mutter bringt Tee.
    Mutter hat keine Zeit verschwendet , denkt Uzaemon, ihren Spitzel herzuschicken.
    Otane verbeugt sich und nimmt das Nussbaumtablett mit dem Tee entgegen.
    Das Mädchen verschwindet, um ausführlich Bericht zu erstatten.
    «Am allerwenigsten», fährt Otane fort, «eine alte Kräutersammlerin.» Sie umschließt die Teeschale mit ihren knochigen, von den Kräutern verfärbten Fingern. «Nein, ich habe keine Nachricht von Fräulein Aibagawa, aber ... Darauf komme ich gleich. Vor einigen Wochen, am Abend des ersten Schneefalls, suchte ein Gast Zuflucht in meiner Hütte. Es war ein junger Novize aus dem Shiranui-Schrein. Er war geflohen.»
    Yoheis verschwommene Silhouette zieht hinter dem schneehellen Papierfenster vorbei.
    «Was hat er gesagt?» Uzaemons Mund ist wie ausgetrocknet. «Ist sie ... ist Fräulein Aibagawa wohlauf?»
    «Sie lebt, aber er sprach von grausamen Verbrechen, die der Orden an den Schwestern verübt. Er sagte, nicht einmal die Verbindungen des Fürstabts in Edo könnten den Schrein schützen, wenn diese Verbrechen bekannt würden. Das hatte der Novize vor - er wollte nach Nagasaki gehen und beim Statthalter und dessen Hof den Orden auf dem Shiranui anprangern.»
    Im Innenhof wird mit steifem Besen Schnee gefegt.
    Trotz des wärmenden Feuers friert Uzaemon. «Wo ist der Abtrünnige jetzt?»
    «Ich begrub ihn am nächsten Tag zwischen zwei Kirschbäumen in meinem Garten.»
    Uzaemon sieht aus den Augenwinkeln etwas vorbeihuschen. «Wie ist er gestorben?»
    «Es gibt eine Sorte von Giften, die harmlos im Körper verbleiben, solange man täglich ein Gegenmittel einnimmt. Ohne dieses Gegenmittel aber tötet das Gift seinen Wirt. Das ist meine Vermutung ...»
    «Das heißt, der Novize war von dem Augenblick an verloren, als er den Schrein verließ.»
    Am anderen Ende des Flurs schilt Uzaemons Mutter ihre Dienerin.
    «Sprach der Novize vor seinem Tod über die Praktiken der Mönche?»
    «Nein», Otane beugt sich vor, «aber er übertrug die Gebote des Ordens auf eine Schriftrolle.»
    «Handelt es sich bei diesen Geboten um die grausamen Verbrechen, die an den Schwestern verübt werden?»
    «Ich bin eine alte Frau aus einer Bauernfamilie, Herr Dolmetscher. Ich kann nicht lesen.»
    «Diese Schriftrolle.» Auch Uzaemon flüstert jetzt. «Ist sie ... ist sie hier in Nagasaki?»
    Otane starrt ihn an wie menschgewordene Zeit. Aus dem Ärmel zieht sie eine Schatulle aus Hartriegelholz.
    «Müssen die Schwestern ...», Uzaemon zwingt sich zu der Frage, «... den Männern beiliegen? Handelt es sich um ein solches - Verbrechen, von dem der Novize gesprochen hat?»
    Die festen Schritte seiner Mutter nähern sich auf dem knarrenden Flur.
    «Ich habe Grund zu der Befürchtung ...», Otane übergibt ihm die Schatulle, «... dass die Wahrheit viel schrecklicher ist.»
    Die Tür geht auf, und Uzaemon lässt die Schatulle schnell in seinen Ärmel gleiten.
    «Ach,

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