Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
Zimmer, und Eure Gattin hat Kopfweh. Eure Mutter kümmert sich um sie.»
Das heißt , denkt Uzaemon, meine Frau will alleine sein, aber meine Mutter lässt sie nicht.
Das neue Dienstmädchen erscheint mit Hausschuhen, warmem Wasser und einem Handtuch.
«Mach Feuer in der Bibliothek», befiehlt er dem Mädchen, denn er will seine Notizen über den Steinschnitt ins Reine schreiben. Wenn ich arbeite , hofft er, halten Mutter und meine Frau sich vielleicht von mir fern.
«Bereite dem Herrn Tee», weist Yohei das Dienstmädchen an. «Aber nicht zu stark.»
Saiji und Yohei warten, wer die Befehle des künftigen Hausherrn empfangen darf.
«Erledigt ...», Uzaemon seufzt, «... was es zu erledigen gibt. Beide.»
Er geht den kalten, gebohnerten Flur hinunter und hört, wie Yohei und Saiji sich gegenseitig die Schuld an der schlechten Laune des jungen Herrn geben. Wenn die beiden sich zanken, ähneln sie einem alten Ehepaar, und Uzaemon vermutet, dass sie mehr teilen als nur die Kammer. Er flüchtet sich vor dem freudlosen Haushalt, der Irren aus den Bergen, dem Geschwätz auf der Weihnachtsfeier und seinem schmachvollen Abgang in die Bibliothek, schließt die Tür und setzt sich an den Schreibtisch. Seine Waden schmerzen. Lustvoll zerreibt er mit dem Tuschestein etwas Tinte, fügt ein paar Tropfen Wasser hinzu und taucht den Pinsel ein. Die Eichenholzregale sind gefüllt mit kostbaren Büchern und chinesischen Schriftrollen. Er denkt daran zurück, mit welcher Ehrfurcht er die Bibliothek Ogawa Mimasakus vor fünfzehn Jahren zum ersten Mal betreten hatte, nicht ahnend, dass ihr Besitzer ihn einige Zeit später adoptieren und sie ihm eines Tages sogar vermachen würde.
Bezähme deinen Ehrgeiz , ermahnt er den jugendlichen Uzaemon, und gib dich mit weniger zufrieden.
Sein Blick fällt auf das erste Regal mit de Zoets Der Wohlstand der Nationen.
Uzaemon beginnt, seine Erinnerungen an den Steinschnitt zu ordnen.
Es klopft: Der Diener Kiyoshichi schiebt die Tür auf.
«Das einfältige Weib wird uns keine Schwierigkeiten mehr bereiten, Herr.»
Es dauert einen Augenblick, bis Uzaemon begreift, von wem der Diener spricht. «Gut. Man sollte ihre Familie verständigen, dass sie fremde Leute belästigt.»
«Ich habe den Sohn des Torwärters darum gebeten, aber er kennt sie nicht.»
«Dann ist sie vielleicht wirklich aus ... Kurozaka hieß der Ort?»
«Kurozane, wenn ich den Herrn berichtigen darf. Ich glaube, das ist ein kleiner Ort im Lehen Kyōga, am Ariake-Meer.»
«Der Name kommt mir bekannt vor. Vielleicht hat Abt Enomoto ihn einmal erwähnt. Hat sie gesagt, warum sie mich sprechen wollte?»
«Eine private Angelegenheit, sagte sie, und dass sie Kräuterheilerin sei.»
«Jedes verwirrte alte Weib, das Fencheltee kochen kann, nennt sich Kräuterheilerin.»
«Ganz recht, Herr. Vielleicht hat sie vom Leiden in diesem Haus gehört und wollte ein Wundermittel verkaufen. Sie hätte eine Tracht Prügel verdient, aber aufgrund ihres Alters ...»
Das neue Mädchen kommt mit einem Eimer voll Kohlen. Sie hat sich ein weißes Kopftuch umgebunden, vielleicht der Kälte wegen. Ein Satz aus Oritos neuntem oder zehntem Brief kommt Uzaemon in den Sinn. «Die Kräuterheilerin aus Kurozane», schrieb sie, «lebt am Fuße des Shiranui, in einer alten Berghütte mit Ziegen, Hühnern und einem Hund ...»
Der Boden gerät ins Wanken. «Hol sie zurück.» Uzaemon erkennt kaum seine Stimme.
Kiyoshichi und das Mädchen sehen ihren Herrn an und tauschen verwunderte Blicke.
«Lauf der Kräuterheilerin aus Kurozane hinterher - der alten Frau. Hol sie zurück.»
Der verblüffte Diener überlegt, ob er sich vielleicht verhört hat.
Zuerst werde ich auf Dejima ohnmächtig , Uzaemon erkennt, wie sonderbar sein Benehmen ist, und jetzt dieser Wankelmut wegen einer Bettlerin. «Als ich im Tempel für Vater betete, sagte ein Priester, seine Krankheit könne durch ... durch fehlende Mildtätigkeit im Hause der Ogawas verursacht worden sein. Er sagte, die Götter würden jemanden schicken, damit wir uns bessern könnten.»
Kiyoshichi bezweifelt, dass die Götter so übel riechende Boten beschäftigen.
Uzaemon klatscht in die Hände. «Ich will dich nicht noch einmal bitten, Kiyoshichi!»
«Sie sind Otane», sagt Uzaemon und überlegt, ob er sie mit einer Ehrenbezeichnung anreden soll, «Otane-san, die Kräuterheilerin aus Kurozane. Vorhin am Tor wusste ich nicht ...»
Die alte Frau sitzt vor ihm wie ein aufgeplusterter Zaunkönig. Ihre
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