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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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Marinus wendet sich an seine vier Schüler. «Helfen Sie uns auf die Sprünge, Herr Muramoto.»
    «Stein aus Harnblase, Nieren, Gallenblase entfernen, Herr Doktor.»
    «Wo bist’n du in deim Himmel ...» Wybo Gerritszoon liegt festgebunden auf dem nach hinten geneigten Operationstisch wie ein Frosch auf dem Sezierbrett - nackt von der Brust bis zu den Socken und sturzbetrunken. «Vergib uns unser Brot ...»
    Uzaemon hält die Worte des Patienten für ein christliches Mantra.
    Im Feuerbecken knistert Holzkohle: In der vergangenen Nacht hat es geschneit.
    Marinus reibt sich die Hände. «Symptome von Blasensteinen, Herr Kajiwaki?»
    «Blut in Urin, Herr Doktor, Schmerz bei Urin lassen und Wunsch zu Urin lassen, aber geht nicht.»
    «Sehr richtig. Ein weiteres Symptom ist die Angst vor der Operation, die den Leidenden dazu veranlasst, die Entscheidung, den Stein entfernen zu lassen, so lange hinauszuzögern, bis er nicht mehr liegen kann, ohne sich danach zu verzehren, endlich pinkeln zu können, wobei ...», Marinus blickt auf den rosa Urin in der Petrischale, «... nicht mehr als ein paar Tropfen kommen. Woraus wir schließen, dass der Stein sich wo befindet, Herr Yano?»
    «Geheiligt is’ dein täglicher Himmel ...» Gerritszoon rülpst. «Wie geht’s weiter?»
    Yano stellt mit der Faust eine Verengung dar. «Stein ... hält auf ... Wasser.»
    «Das heißt», sagt Marinus, «der Stein verstopft die Harnröhre. Welches Schicksal erwartet einen Patienten, der keinen Urin lassen kann, Herr Ikematsu?»
    Uzaemon beobachtet, wie Ikematsu aus den Wörtern «Schicksal», «keinen Urin» und «lassen» einen Sinnzusammenhang herstellt. «Körper, der nicht Urin lassen kann, kann Blut nicht rein machen. Körper stirbt von schmutzigem Blut.»
    «Er stirbt.» Marinus nickt. «Der große Hippokrates ermahn-»
    «Halt endlich ’s Maul und tu was, verdammt, tu was, tu was ...»
    Jacob de Zoet und Con Twomey, die dem Arzt assistieren sollen, tauschen Blicke.
    Marinus empfängt von Eelattu einen langen Streifen Baumwollstoff, bittet Gerritszoon, den Mund zu öffnen, und stopft den Knebel hinein. «Der große Hippokrates ermahnte den Arzt, Steine nicht selbst zu schneiden, sondern diese Arbeit den gemeinen Chirurgen zu überlassen. Der Grieche Ammonios der Lithotom, der Inder Susruta und der Araber Abu al-Qasim al-Zahrawi, der, nebenbei bemerkt, eine Vorform dieses Werkzeugs erfand ...», Marinus schwenkt das blutverschmierte zweischneidige Skalpell, «... hätten den Schnitt am Perineum angesetzt ...», der Arzt hebt den Penis des empörten Niederländers an und zeigt auf die Stelle zwischen Peniswurzel und Anus, «... hier, an der Schambeinfuge.» Marinus lässt den Penis los. «Mehr als die Hälfte der Patienten starb in dieser schlimmen Zeit ... unter Qualen.»
    Gerritszoon hört abrupt auf, sich zu wehren.
    «Frère Jacques, ein begnadeter französischer Medikus, regte an, einen suprapubischen Schnitt über dem Corpus ossis pubis auszuführen ...», Marinus zeichnet mit dem Finger links von Gerritszoons Nabel eine bogenförmige Linie, «... um von der Seite in die Blase vorzudringen. Cheselden, ein Engländer, vereinigte die Methoden von Jacques dem Medikus und den alten Meistern und erfand den lateralen Blasensteinschnitt, an dem weniger als zehn Prozent der Patienten starben. Ich habe über fünfzig Steinschnitte vorgenommen und nur vier Patienten verloren. Bei zweien konnte ich nichts dafür. Die beiden waren ... Tja, wir leben, um zu lernen, auch wenn unsere toten Patienten das bedauerlicherweise nicht von sich behaupten können, was, Gerritszoon? Cheselden verlangte für zwei, drei Minuten Arbeit fünfhundert Pfund Honorar. Aber zum Glück ...», der Arzt gibt dem fixierten Patienten einen Klaps auf den Schenkel, «... hatte er einen Studenten namens John Hunter. Zu Hunters Studenten gehörte ein Niederländer namens Hardwijke, und Hardwijke war der Lehrer Marinus’, der diese Operation heute gratis durchführen wird. So. Wollen wir anfangen?»
    Ein heißer Angstfurz entweicht Wybo Gerritszoons Rektum.
    «Horrido!» Marinus nickt de Zoet und Twomey zu, und beide packen ein Bein. «Je weniger er sich bewegt, desto weniger ungewollte Verletzungen.» Uzaemon bemerkt, dass die Famuli Marinus’ Rede nicht verstanden haben, und übersetzt. Eelattu setzt sich rittlings auf den Bauch des Patienten, um ihm den Blick zu versperren, und hält seinen schlaffen Penis hoch. Marinus bittet Dr. Maeno, die Lampe auf den Unterleib des

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