Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
tropft von den Pinien.
Uzaemon fragt Shuzai: «Übernachten wir heute in Isahaya?»
«Nein. Deguchi aus Osaka hat die beste Herberge für uns ausgesucht: das Harubayashi in Kurozane.»
«Doch nicht etwa dieselbe Herberge, in der auch Enomoto mit seinem Gefolge absteigt?»
«Genau die: Welche Banditenhorde, die eine Nonne aus dem Shiranui-Schrein rauben will, würde auch nur im Traum daran denken, dort zu übernachten?»
Im Haupttempel von Isahaya wird ein Fest zu Ehren einer örtlichen Gottheit gefeiert, und die Straßen sind so voll mit Menschen, dass sechs Fremde und eine Sänfte sich unauffällig zwischen den Händlern, Umzugswagen und Zuschauern bewegen können. Straßenmusikanten buhlen um Kundschaft, Taschendiebe sind auf Beutezug, vor den Wirtshäusern locken schäkernde Serviermädchen Gäste herein. Aus der Sänfte heraus befiehlt Shuzai seinen Männern, direkt zum Osttor zu gehen, das ins Lehen Kyōga führt. Vor dem Wachhaus drängt sich eine Schweineherde. Ein Soldat, bekleidet mit der schlichten Tracht des Lehens, blickt flüchtig auf Deguchis Ausweis und erkundigt sich, warum der Kaufmann keine Ware mit sich führt. «Ich habe alles verschifft», antwortet Shuzai in nahezu perfektem Osaka-Akzent. «Wenn sich jeder Zöllner in West-Honshu seinen Teil abschnitte, blieben mir am Ende nicht einmal die Furchen in meinen Händen.» Er wird durchgewunken, aber ein anderer, aufmerksamerer Soldat bemerkt, dass Uzaemons Ausweis vom Amt des Aufsehers auf Dejima ausgestellt wurde. «Sie sind Dolmetscher für die Ausländer, Ogawa-san?»
«Von drittem Rang, ja, in der Dolmetscherzunft auf Dejima.»
«Ich frage nur wegen Ihrer Pilgerkleidung.»
«Mein Vater ist schwer krank. Ich will in Kashima für ihn beten.»
«Bitte», der Soldat tritt nach einem quiekenden Ferkel, «begeben Sie sich in den Durchsuchungsraum.»
Uzaemon vermeidet es bewusst, Shuzai anzusehen. «Natürlich.»
«Ich komme zu Ihnen, sobald wir diese verdammten Mastschweine aus dem Weg geschafft haben.»
Der Dolmetscher betritt den kleinen Raum. Ein Schreiber sitzt bei der Arbeit.
Uzaemon verflucht sein Pech. Von wegen unerkannt nach Kyōga schleichen!
«Bitte verzeihen Sie die Unannehmlichkeit.» Der Soldat kommt herein und befiehlt dem Schreiber, draußen zu warten. «Ich spüre, dass Sie ein Mensch sind, der zu seinem Wort steht, Ogawa-san.»
«Ja», erwidert Uzaemon beunruhigt, «danach strebe ich.»
«Dann ...», der Soldat sinkt auf die Knie und verbeugt sich tief, «... bitte ich Sie um ein Zeichen Ihres Wohlwollens, Ogawa-san. Der Schädel meines Sohnes wächst falsch ... unförmig. Wir - wir wagen es nicht, mit ihm nach draußen zu gehen, denn die Leute nennen ihn einen Oni-Dämonen. Er ist klug und ein eifriger Leser, das heißt, sein Verstand ist nicht beeinträchtigt, aber ... er hat immer Kopfschmerzen, entsetzliche Kopfschmerzen.»
Uzaemon ist verblüfft. «Was sagen die Ärzte?»
«Der erste diagnostizierte ‹Hirnbrennen› und verordnete, er solle täglich fünfzehn Liter Wasser trinken, um das Feuer zu löschen. ‹Wasservergiftung› sagte der zweite und befahl, wir sollten unseren Sohn austrocknen, bis sich seine Zunge schwarz färbe. Der dritte Arzt verkaufte uns goldene Akupunkturnadeln, die wir ihm in den Kopf stechen sollten, um den Dämon auszutreiben, und der vierte verkaufte uns einen Zauberfrosch, an dem er dreiunddreißigmal am Tag lecken sollte. Nichts hat geholfen. Bald kann er den Kopf nicht mehr aufrecht halten ...»
Uzaemon erinnert sich an den Vortrag, den Dr. Maeno kürzlich über Elefantiasis gehalten hat.
«... und so bitte ich alle Pilger, die hier vorbeikommen, in Kashima für ihn zu beten.»
«Ich werde gerne ein heilendes Sutra für ihn sprechen. Wie heißt Ihr Sohn?»
«Ich danke Ihnen. Viele Pilger versprechen das, aber ich vertraue nur Männern von Ehre. Ich bin Imada, und mein Sohn heißt Uokatsu. Ich habe seinen Namen aufgeschrieben ...», er gibt Uzaemon ein gefaltetes Stück Papier, «... und eine Strähne seines Haares beigelegt. Es wird eine Gebühr kosten, und ...»
«Behalten Sie Ihr Geld. Ich werde für Imada Uokatsu beten, wenn ich für meinen Vater bete.»
Die Isolationspolitik erhält dem Shōgun seine uneingeschränkte Macht ...
«Darf ich annehmen», der Soldat verbeugt sich wieder, «dass auch Ogawa-san einen Sohn hat?»
... aber sie verurteilt Uokatsu und unzählige andere zu einem sinnlosen Tod aus Unwissenheit.
«Meiner Frau und mir» - wieder etwas preisgegeben
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