Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
Kashima.
«Wirt?», ruft einer der Soldaten. «Wo ist der Wirt von dieser Kaschemme?»
«Meine Herren!» Der Wirt eilt aus der Küche herbei und sinkt auf die Knie. «Welch unaussprechliche Ehre für den Fröhlichen Phönix.»
«Heu und Hafer für die Pferde: Dein Stallbursche ist ausgeflogen.»
«Sofort, Herr Hauptmann.» Der Wirt weiß, dass er eine Gutschrift akzeptieren muss, die er nur einlösen kann, wenn er das Fünffache an Schmiergeld zahlt. Er verteilt Anweisungen an seine Frau, seine Söhne und Töchter, und man führt die Soldaten nach hinten in das beste Zimmer. Zaghaft werden die Gespräche wiederaufgenommen.
«Ich vergesse nie ein Gesicht, Samurai-san.» Der bärtige Kaufmann hat sich von hinten herangeschlichen.
Meide Bekanntschaften, hat Shuzai ihn gewarnt, und meide Zeugen. «Wir sind uns nie begegnet.»
«Aber sicher sind wir das - am Neujahrstag im Ryūgaji-Tempel.»
«Sie irren sich, alter Mann. Ich habe Sie noch nie gesehen. Und jetzt bitte ich Sie ...»
«Aber wir haben uns über Rochenhäute unterhalten, Samu-rai-san, und über Schwertscheiden ...»
Uzaemon erkennt unter dem verfilzten Bart und dem geflickten Umhang Shuzai.
«Ah, jetzt erinnere ich mich! Deguchi, Samurai-san - Deguchi aus Osaka.»
«Ob Sie mir wohl die Ehre erweisen, dass ich mich zu Ihnen setzen darf?»
Die Bedienung kommt mit einer Schüssel Reis und eingelegtem Gemüse.
«Ich vergesse nie ein Gesicht.» Shuzai entblößt grinsend gelbe Zähne, und auch sein Akzent klingt anders.
Die Miene der Bedienung sagt: Geschwätziger alter Knacker!
«Nein», sagt Shuzai mit breitem Akzent. «Namen entfallen mir, aber ein Gesicht nie ...»
«Ein einzelner Reisender fällt auf», Shuzai spricht durch das Fenstergitter der Sänfte, «aber eine sechsköpfige Gruppe auf der Isahaya-Straße? Wir sind so gut wie unsichtbar. Ein schweigsamer Pilger mit einem Schwert zieht die Blicke jedes Freizeitspitzels im Fröhlichen Phönix auf sich. Aber als wir die Herberge verließen, warst du ein bedauernswerter Kerl, der von einer menschlichen Mücke belästigt wurde. Indem ich dich gelangweilt habe, habe ich dich langweilig gemacht.»
Nebel verschleiert die Bauernhäuser, löscht die Straße vor ihnen aus und verbirgt die Talwände ...
Deguchis Diener und Träger haben sich als die Söldner entpuppt, die Shuzai angeworben hat: Ihre Waffen sind im präparierten Boden der Sänfte versteckt. Tanuki , Uzaemon prägt sich ihre Decknamen ein, Kuma, Ishi, Hane, Shakke ... Wie es sich für Träger schickt, meiden sie das Gespräch mit ihm. Die übrigen sechs Söldner stoßen morgen in der Mekura-Klamm dazu.
«Übrigens», fragt Shuzai, «hast du eine gewisse Schatulle mitgebracht?»
Wenn du nein sagst , befürchtet Uzaemon, denkt er, dass du ihm misstraust.
«Alles Wertvolle», er klopft sich gut sichtbar auf den Bauch, «befindet sich hier.»
«Gut. Wäre sie in die falschen Hände gelangt, würde Enomoto möglicherweise auf uns warten.»
Wenn wir Erfolg haben, brauchen wir Jiritsus Vermächtnis nicht. Uzaemon ist beunruhigt. Wenn das Vorhaben aber misslingt, darf es auf keinen Fall in fremde Hände gelangen. Auf die Frage, wie de Zoet die Schatulle als Waffe einsetzen könnte, weiß der Dolmetscher keine Antwort.
Der trunkene Fluss unter ihnen attackiert die Felsen und schlägt ans Ufer.
«Genauso wild wie der Shimantogawa in unserem Heimatlehen», sagt Shuzai.
«Ich glaube, der Shimantogawa ist freundlich dagegen.» Uzaemon denkt darüber nach, sich in seiner Heimatprovinz Tosa um eine Stellung bei Hofe zu bewerben. Seit er von den Ogawas adoptiert wurde, ist die Verbindung zu seiner Geburtsfamilie abgebrochen - und sie wären nicht begeistert, wenn ihr drittgeborener Sohn als mittelloser Esser zu ihnen zurückkäme, noch dazu mit einer entstellten Frau -, aber vielleicht wäre sein einstiger Niederländischlehrer bereit und in der Lage, ihm zu helfen. Nein , denkt er, Tosa ist der erste Ort, wo Enomoto nach uns suchen würde.
Es geht nicht nur um eine flüchtige Nonne - der Ruf des Fürsten von Kyōga steht auf dem Spiel.
Sein Freund Matsudaira Sadanobu, Berater des Shōguns, würde einen Haftbefehl erlassen ...
Uzaemon erkennt, auf welch ungeheures Wagnis er sich eingelassen hat.
Würden sie sich mit einem Haftbefehl aufhalten? Oder einfach einen Mörder dingen?
Uzaemon wendet den Blick ab. Innezuhalten und nachzudenken hieße, die Rettung abzubrechen.
Füße patschen durch Pfützen. Der braune Fluss schwillt an. Regen
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