Die Teeprinzessin
zwischen den grünen Pflanzenreihen nahmen von ihnen auf eine sehr auffällige Art überhaupt keine Notiz. Hatten sie eben noch neugierig den Weg hinaufgeschaut, so schien sie plötzlich das Sonnenlicht zu blenden und sie hielten alle ihre Gesichter besonders nahe an die Teepflanzen heran, während sie hier oder da fahrig ein paar Blättchen ernteten. Die Pflückerin, die ihnen am nächsten stand, warf sich ein paar winzige frisch geerntete Blättchen über ihre Schulter, ohne jedoch den Erntekorb auf ihrem Rücken zu treffen.
»Wollen wir uns jetzt den Garten anschauen?«, flüsterte Francis lächelnd. »Oder sollten wir doch lieber meine komplette Teeernte einer Umarmung opfern?« Er nahm ihre Hand. »Ich würde es tun. Was bedeutet schon ein Teegarten?«
Betty sah, dass sich seine Augen verdunkelt hatten. Sie lächelte und nahm den Arm, den er ihr gereicht hatte.
»Wissen Sie, dass Sie mich nach indischem Recht jetzt heiraten
müssen?« Francis sah sie von der Seite an. »Oder musste ich das nach friesischem Recht bereits, als ich Sie damals aufgefangen habe?«
Betty errötete. Zu dumm, dass ihr darauf keine besondere Antwort einfiel. Sie presste die Lippen zusammen, schritt aber weiterhin neben ihm her. Der weiche Boden unter ihren Füßen war moosbedeckt. Es duftete zart nach frischen Beeren und nach Honig. Ein leichter Morgenwind wehte von den Hügeln herab und streichelte ihre Haare. Francis drückte ihren Arm leicht an sich. Sie war froh, dass er sie festhielt, sonst hätte sie vielleicht vor lauter Aufregung zu taumeln begonnen.
Der Teegarten war riesig groß. Die glänzend grünen Pflanzen reichten in langen Reihen bis über den nächsten Hügel hinaus. Sie hatte sich niemals zuvor darüber Gedanken gemacht, wie Teesträucher aussahen. Nun aber war sie überrascht zu sehen, dass die Erntepflanzen in diesem Garten nicht einmal mannshoch waren. Und sahen sie nicht ein wenig aus wie die Stachelbeersträucher in ihrer Heimat? Die Zweige waren hart und fast weiß, die Blätter daran glatt wie Leder und vorn spitz zulaufend.
Francis erklärte ihr, dass es in diesem Jahr ungewöhnlich warm und feucht gewesen war und dass die Ernte bereits jetzt der im Mai üblichen entsprach. Es wurde immer nur das obere Blättchen eines jungen Triebes abgepflückt. In manchen Teegärten pflückte man auch zwei oder drei Blättchen. Die Pflanzen in diesem Teil des Gartens waren fünf Jahre alt und wuchsen schon sehr gut, die größte Menge an Blättern würden sie aber erst mit zwölf Jahren hervorbringen.
»Dann ist es also fünf Jahre her, dass Sie hier mit den Pflanzungen angefangen haben? Wie ist es dazu gekommen?«
Francis ging auf ihre Frage nicht ein. Er lenkte sie zu einer der dichten grünen Reihen, in der gleich mehrere weiß gewandete
Arbeiterinnen beschäftigt waren, und pflückte eine der zartroséfarbenen Teeblüten für Betty ab, um sie ihr unter die Nase zu halten. »Riechen Sie etwas?«
»Natürlich.« Betty schloss die Augen, um sie dann wieder zu öffnen. Sie nahm ihm die Blüte aus der Hand und hielt sie in die Sonne. »Wie eigenartig. Ich kann den Duft dieser Blüte nicht beschreiben, weil er so einzigartig ist. Süß würde passen, und traurig, aber auch frisch und verheißungsvoll. Und doch passt der Duft genau zu der Farbe seiner Blüte, es ist fast, als ob diese Farbe selbst den Duft verströmt.«
Francis pflückte eine weitere Blüte. »Vor mehr als zehn Jahren gab es in Paris ein Theaterstück, es hieß ›Die Kameliendame‹, und der Dummkopf, der es geschrieben hat, ging davon aus, dass die Blüte der Kamelie keinen Duft habe. Genau so etwas sagt man allgemein auch über die Teeblüte: dass sie eigentlich gar nicht oder zumindest nicht besonders dufte. Aber ich glaube, dass viele Menschen nicht sensibel genug sind, um diesen besonderen Duft wahrzunehmen. Dabei ist er perfekt.« Francis zögerte. »Sie haben eine viel feinere Nase als ich. Und Sie haben recht, es ist diese besondere Farbe, zu der der Duft gehört.«
Betty überlegte, während sie die kleine Blüte in den Hän den drehte. »Vielleicht sollte man einen Tee machen, in den man ein wenig von den Blüten hineingibt und nur die äußeren beiden Blättchen.« Betty schaute zu ihm auf. Er sah nicht aus, als ob er gerade sehr angestrengt über eine neue Teesorte nachdachte. »Der Tee sollte aber nicht über dem Feuer getrocknet werden, sondern nur ganz vorsichtig an der Sonne, so wie der Tee, den ich bei Mister Tiliri getrunken habe.
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