Die Teeprinzessin
Campbell muss dennoch seine Geschäfte weiterverfolgen und er nimmt sein Amt trotz aller Anfeindungen sehr ernst. Er war schon im vergangenen Jahr unter starkem politischem Druck. Er möchte, dass die Engländer und die Franzosen noch einmal gemeinsam in Richtung Peking segeln. Angeblich haben die Chinesen einige englische Soldaten gefangen genommen und zu Tode gefoltert. Und die Verträge, die schon vor zwei Jahren geschlossen wurden, reichen den Engländern nicht, um weiter ungestört Handel zu treiben.« Er war sehr ernst geworden. »Mit oder ohne Tee, und mit oder ohne Opium.«
»Auf welcher Seite stehen Sie?«
»Ich versuche immer, auf der Seite der Menschlichkeit zu stehen, nur ist es nicht immer ganz einfach herauszufinden, wo diese sich gerade befindet. Ich bin in China geboren und englischer Staatsbürger! Da bin ich nicht der Einzige - aber es macht mir nicht leicht, eine Position zu beziehen.« Er nahm flüchtig ihre Hand und ließ sie sofort wieder los. »Entschuldigen Sie, ich will Sie nicht mit diesen Dingen langweilen!«
Betty schluckte. »Ich finde Politik nicht langweilig. Im Gegenteil, ich würde gern mehr darüber wissen. Ich brenne seit Jahren darauf, mehr über den Handel mit Tee und über den Opiumkrieg zu erfahren. Alles, was ich darüber weiß, habe ich aufgeschnappt, wenn ich zufällig als Stubenmädchen im Zimmer war. Oder als der alte Asmussen es Anton erzählt hat, der aber nicht zuhörte.« Sie spürte, wie aufgeregt sie geworden war. »Ich spreche übrigens auch leidlich gut Englisch. Anton wurde als Kind darin unterrichtet, weil Englisch die Sprache der Händler ist, und ich habe ihm dabei Gesellschaft geleistet.«
Sie zögerte und wusste selbst, dass sie gleich eine Dumm heit begehen würde. Dennoch konnte sie sich ihre nächste Frage nicht verkneifen. »Könnte ich Sie nicht zu dem Dinner begleiten?«
Francis schien dieses Ansinnen so zu erschrecken, dass er einen Schritt zurücktrat. »Sie meinen, ob ich Sie zu diesem Dinner mitnehmen könnte?« Wurde er bei diesem Gedanken wirklich blass oder lag das nur am Licht?
»Sie sagten doch, es sind auch Damen da. Lady Campbell zum Beispiel.«
Francis schüttelte den Kopf. »Lady Campbell ist die Hausherrin - und sie war vor ihrer Ehe mit Campbell dreizehn Jahre lang die Hofdame Ihrer Majestät, der englischen Königin. Noch heute korrespondiert sie regelmäßig mit Victoria.«
So leicht wollte Betty nicht aufgeben, dafür hatte sie sich auch bereits zu weit vorangewagt. »Es werden dort doch sicherlich noch andere Damen zugegen sein!«
»Ja, natürlich. Aber es sind alles Damen, die seit Jahren in Indien leben und vor allem verheiratet sind. Es sind immer die gleichen Leute. Sie sind 16 Jahre alt, Betty, und 8000 Meilen von Ihrer Heimat weg. Ich bin fast acht Jahre älter als Sie und ich wünsche mir eine Zukunft mit Ihnen. Mir liegt Ihre Ehre sehr am Herzen. Als was sollte ich Sie heute Abend zu diesem Dinner mitnehmen? Soll ich Sie diesen Damen zum Fraß vorwerfen? Nein, so leid es mir tut, für uns gilt es, eine bestimmte Reihenfolge einzuhalten.«
Betty schluckte. Sie konnte ihre Tränen kaum noch zurückhalten. »Dann ist der Abend also eher etwas für englische Damen der Gesellschaft und für indische Adelige?«
»Ja, genau, so etwas ist es.« Francis nickte. »Es ist nicht formell, das sagte ich ja schon. Es ist als indischer Abend tituliert. Getarnt, sollte man wohl eher sagen, denn im Grunde geht es um wichtige politische Entscheidungen. Nach außen hin werden aber Lady Campbell und ihr Geschwader von Zofen ihre schwersten juwelenbestickten Saris ausführen und sich so stark zufächeln, dass der Champagner in ihren Gläsern Wellen schlägt. Die Gattinnen der Vizegouverneure werden darauf achten, ebenfalls prächtige, aber natürlich nicht ganz so prächtige Saris zu tragen, falls sie und ihre Gatten überhaupt eingeladen sind, was die meisten wohl nicht von sich behaupten können. Die Herren werden feierliche Brokatjacken tragen und gute Laune, um zu zeigen, dass sie in Bengalen heimisch sind, und sie werden das Dinner gutmütig absolvieren, während sie sich über die Jagd, das Golfspiel oder die Falknerei unterhalten. Oder über die Moskitos, auch ein sehr beliebtes Thema. Aber dann werden sie sich in die Clubräume zurückziehen, die Jackenknöpfe
öffnen, sich Punka ziehen lassen, kalten Gin mit Salzrand und Limone trinken und die wirklich wichtigen Dinge besprechen. Ich wünschte wirklich, ich könnte hier bei
Weitere Kostenlose Bücher