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Die Teeprinzessin

Titel: Die Teeprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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inspiziert und festgelegt, dass Betty in der vorderen schlafen solle. In der hinteren, in der auch die Teepakete lagerten, würde sie selbst einen Platz zum Schlafen finden. Das Schiff hatte seine Maschinen bereits unter Dampf genommen, als sie an Bord kamen, nun aber brach ein gewaltiges Stampfen und Brummen los und der Dampfer setzte sich schnaubend in Bewegung.

    Die eisernen Schiffswände, an denen bereits jetzt Schwitzwasser hinunterlief, zitterten und bebten, und als sie nach einer Stunde offenbar in offeneres Gewässer kamen, begann das ganze Schiff zudem zwischen seinen zwei Achsen zu schaukeln. Die Auf- und Abbewegungen des Bugs, der sich einen Weg durch die Wellen schnitt, kannte Betty bereits von ihrer Fahrt auf dem Segler nach Kalkutta. Sie hatten ihr nie viel ausgemacht. Nun jedoch, auf dem Dampfschiff, kam noch ein seitliches Schaukeln hinzu. Sikkis gesunde Gesichtsfarbe war einem fahlen Grünton gewichen, ihre Augenlider flatterten.
    Es dauerte nicht lange, da musste Sikki sich an der Bordwand abstützen, und kurze Zeit später wäre sie zu Boden gesunken, wenn Betty sie nicht aufgefangen hätte. Sie selbst fühlte sich völlig frei von Seekrankheit. Ihr gebrochenes Herz schien sie auf geheimnisvolle Art vor allen Unbillen zu schützen.
    Wie es aussah, hielten sich auch die anderen Passagiere vornehmlich in ihren Kabinen auf. Im Raum der Großfamilie wurde geschlafen und gesummt. Als Betty an Deck ging, um nach einem Diener zu suchen, der ihr für Sikki einen Tee bringen konnte, traf sie nur einen bleichen britischen Reisenden, der sich ihr mit zusammengekniffenen Lippen knapp vorstellte und dann wieder angestrengt aufs Meer hinausstarrte. Thomas Burman war von auffälliger Gestalt. Betty konnte sich nicht erinnern, schon einmal einen derart großen dünnen Mann gesehen zu haben. Fast sah er aus wie eine harmlose und zugleich lächerlich große Spinne, wie einer der Weberknechte, die es in Indien vermutlich gar nicht gab, die sie aber aus ihrer Kindheit kannte.
    »Können Sie mir bitte sagen, wo ich hier heißes Wasser für einen Tee bekommen kann? Ich finde keinen Diener.«
    »Leider nein.« Mister Burman war deutlich anzusehen, dass er nicht den Kopf schütteln konnte, ohne sich zu erbrechen. Er
konnte nur starr dastehen und die Lippen fest zusammenpressen, während er Auskunft gab. »Ich wollte auch, es würde hier Tee gereicht, aber es scheinen kaum Diener an Bord zu sein, die Einheimischen haben sich angeblich alle ihren eigenen Proviant und ihr eigenes Wasser in Lederflaschen mitgebracht. Man hat mir gesagt, dass ein einziger Stewart für 60 Passagiere zuständig sei, aber gesehen habe ich ihn noch nicht. Wir sollen auch Früchte und Reis bekommen und gebackenes Brot. Angeblich.« Er schluckte. »Nicht dass ich die Nahrung vermissen würde.«
    Der Dampfer nahm eine seitliche Welle und Betty schloss ihre Hände um die runden Eisenstäbe der Reling. »Sie reisen nach Kanton?« Es schickte sich nicht, dass eine Dame einen Herrn etwas fragte. Aber fühlte sich Betty überhaupt noch wie eine junge Frau? Und nicht vielmehr wie ein Wesen zwischen Leben und Tod, aus einer Zwischenwelt, in der es weder gesellschaftliche Unterschiede gab noch die der Geschlechter, sondern nur die Erinnerung, die Trauer und den Schmerz?
    Ja, Kanton. Mister Burman bejahte. Es sei zwar eine schlechte Zeit für den Handel und die Chinesen lachten auch nur über die Waren, die die gewöhnlichen Händler manchmal in ihr Land brächten, aber er, Thomas Burman, hätte etwas bei sich, das sie nicht kannten und nicht hatten, das sie aber dringend benötigten. Es hätte das Zeug dazu, die ganze Welt zu verändern, ja, es könne sie sogar verbessern. »Ich bin mir sicher, wenn es mir gut ginge, würde ich jetzt darauf brennen, es Ihnen vorzuführen«, wisperte Mister Burman. »Obwohl man es immer anwenden kann und auch anwenden sollte, ist es doch nicht zuträglich, wenn man von einer gewissen Unpässlichkeit befallen ist. Das habe ich leider feststellen müssen.«
    Er tat Betty leid, wie er so an die Reling gelehnt dastand, dünn und fein wie eingeknickter Zweig.

    »Ich bin Teehändlerin«, sagte Betty. »Ich habe besten Darjeeling für China. Gute Ware. Feines Blatt.« Sie erinnerte sich, dass die Kaufleute, die sie bei Remburgs zu bedienen hatte, sich ähnlich auszudrücken pflegten. Knapp und selbstbewusst zugleich.
    »Schön, schön. Gut, gut«, antwortete Burman sogleich, indem auch er sich des Kaufmannsjargons befleißigte.

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