Die Teeprinzessin
Was haben wir denn bisher schon erreicht? Ein paar Meilen Schienen von Bombay aus. Aber nein, da gehen unsere asiatischen Brüder lieber zu den Amerikanern, in Scharen gehen sie dorthin, denn dort wird besser gezahlt als hier bei uns! Dafür aber holen sie indische Arbeiter nach Hongkong und nutzen sie als Haussklaven aus, weil ihnen ihre eigenen Hausangestellten zu unordentlich sind. Und Schweine fressen sie!« Er regte sich dermaßen auf, dass sein Diener nun aus Leibeskräften den Ventilator kurbelte und Betty fast überhaupt nicht mehr verstehen konnte, was er murmelte.
»Gibt es denn eine Passage nach Kanton?«
»Ein Dampfschiff gibt es, da sind Soldaten drauf und Arbeiter und ein paar Glücksritter ohne Fortune, aber glauben Sie mir, da wollen Sie nicht mitfahren!«
»Ich nehme eine Kabine zweiter Klasse für mich und meine Dienerin. Einfache Fahrt, bitte.«
Tiliri kramte in seinen Papieren und schimpfte dabei leise vor sich hin. »Zeigen Sie mir den Tee. Dann kann ich Ihnen
sagen, wie viele Yards über das Meer Sie damit kommen! Weit wird es nicht sein. Sie werden wohl nicht aus dem Hafen von Kalkutta herauskommen.« Mister Tiliri hob flehend die Hände. »Warum ist man nur so gutmütig, oh Herr?« Er schnauzte seinen Diener auf Hindu an, der ließ die Kurbel los und huschte zur Tür hinaus. Als er wenige Minuten später zurückkam und das schwere Paket auf den Boden fallen ließ, legte Mister Tiliri die Stirn in Falten. »Was soll das sein? Ein Ballen Seide? So sieht doch keine normale Teekiste aus?«
»Es ist auch kein normaler Tee.«
»Davon gehe ich aus!« Mister Tiliri stemmte sich an seiner Schreibtischplatte hoch und watschelte um den Tisch herum, wobei er Betty nicht aus den Augen ließ, wie ein gefährliches Insekt. Er wühlte ohne hinzuschauen unter einem Stapel vergilbter Papiere herum und hatte endlich gefunden, was er suchte: ein etwa eine Elle langes Hohleisen mit einem Holzgriff und einen Hammer. Dann holte er plötzlich Schwung mit einem Bein und stieß seine Fußspitze gegen das Paket. Im gleichen Augenblick verzog er schmerzhaft das Gesicht. »Was ist da drin? Geröll aus dem Himalaja?«
»60 Pfund sind eben 60 Pfund.«
»Zu freundlich, dass Sie mich an den edelsten Früchten Ihrer Weisheit teilhaben lassen!« Mister Tiliri bückte sich stöhnend, setzte das Hohleisen an die Seite des Paketes und hieb es mit dem Hammer kräftig hinein. Sofort verbreitete sich der Duft des Tees im Raum. Er war so intensiv, dass Betty die Augen schloss. Sie sah Francis vor sich, wie er sie anlächelte, sie spürte seinen Blick, das Gefühl, als seine Hand nach ihrer Hand griff, und die Wärme seines Körpers, als er ihr seinen Arm geboten und sie durch den Teegarten geführt hatte. Wie lange war das her? Sechs Tage? Oder war es überhaupt niemals geschehen? Hatte sie das alles nur geträumt?
»Sie machen ein Gesicht, als ob der Tee Ihnen Schmerzen bereiten würde!« Er selbst hatte mit spitzten Fingern ein paar der grünschwarzen Blättchen aus dem Hohleisen herausgezogen, nun machte er eilig ein Plätzchen auf seinem Schreibtisch frei, legte ein frisches cremefarbenes Stück Seidenpapier darauf und begann, die Teeblätter vorsichtig auf das Papier zu schütten. Er senkte seine Nase weit über den Tee und schnupperte hörbar. »Woher haben Sie den?«
»Das ist Tee aus Darjeeling, das wissen Sie doch genau.«
Mister Tiliri sah sie einen Moment lang durch seine dicken Brillengläser an, dann umrundete er seinen Schreibtisch und setzte sich vorsichtig auf seinen Stuhl zurück. »In einer guten Stunde legt die Cressida nach Kanton ab. Sie braucht etwa 28 Tage bis China, und die Fahrt wird weniger komfortabel sein, als Sie vielleicht vermuten. Ich gebe Ihnen eine Kabine erster Klasse und einen hoffentlich trockenen Frachtraum.« Er lächelte fein. »Was haben Sie für diesen Tee bezahlt? Sie sehen aus, als ob er sehr teuer gewesen wäre.«
Betty ging gar nicht auf ihn ein. »Was meinen Sie mit hoffentlich trockenen Frachtraum ? Ich denke, es ist ein modernes Schiff, unter Dampf sogar.«
Mister Tiliri nickte. »Ja, aus Eisen. Das schwitzt. Da rinnt das Wasser nur so an den Wänden herab. Und es stinkt. Es wird nämlich Kohle verbrannt, damit wird die Dampfmaschine angetrieben. Kohle staubt. Oder glauben Sie, dass es in den Frachträumen zugeht wie im besten Hotel und dass dort gelüftet wird? Der Frachtraum eines Schiffes, liebes Kind, befindet sich unter der Wasseroberfläche, da kommt erst wieder Luft
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