Die Teeprinzessin
Dass sie kein Mann war und zudem viel jünger, als es Kaufleute für gewöhnlich waren, schien ihn nicht zu stören. »Nun, ich habe nur meine kleine Erfindung dabei. Kistenweise selbstverständlich. Denn es ist etwas, das eine Probe nicht zu scheuen braucht. Das ist meine Handelsware. Ich rechne fest mit großen Bestellungen.«
»Schön, schön. Gut, gut«, echote Betty. »Darf man fragen, um was es sich handelt?«
Burman drehte langsam den Kopf. Es schien ihm aber nicht gut genug zu gehen, um Betty von oben nach unten zu mustern, daher hatte er offenbar beschlossen, die Tatsache zu ignorieren, dass eine junge Europäerin im Sari vor ihm stand und ihn in ein Gespräch verwickelte. »Es ist etwas gegen den Lärm des Alltags, gegen das Kanonengrollen des Krieges und ge gen die Pfiffe der neuen Eisenbahnen überall. Und gegen das Stampfen dieser Maschine auf diesem Schiff, das können Sie mir glauben, hilft es auch. Vorausgesetzt, man ist nicht seekrank.« Er streckte eine seiner Hände in die Tasche seines langen Überrocks und zog sie einen Augenblick später wieder hervor. »Sehen Sie nur, das ist die Odysseuskugel. Das heißt, dieses hier sind natürlich zwei Odysseuskugeln, selbstverständlich benötigt man eine für jedes Ohr.« Er hielt Betty seine Handfläche hin, auf der zwei wachsgraue kleine Zylinder lagen. »Sie stecken sich eine in jedes Ohr und spüren nahezu himmlischen Frieden. Die Abwesenheit von Lärm. Die Ruhe,
die man braucht.« Burman sah sie kurz an. »Sie kennen die Geschichte des Odysseus? Er war ein Held. Ein antiker Held. Meine Odysseuskugeln sind also etwas für Helden. Odysseus musste dem Gesang der Sirenen entgehen, die ihn in den Untergang gestürzt hätten. Also band er sich am Mast seines Schiffes fest und verstopfte sich die Ohren, sodass er den todbringenden Gesang nicht hören konnte. Und er obsiegte!« Burman lächelte. »Meine Odysseuskugeln sind natürlich viel moder ner. Sie sind auf das Feinste verformbar, um sowohl ein so zartes und nachgerade niedliches Ohr wie das Ihre auszufüllen, wie auch die gigantische Hörmuschel eines alten Herrn.« Er streckte ihr die Hand weiter entgegen. »Fassen Sie sie nur an. Sie können sie auch gern einmal einsetzen. Sie sind selbstverständlich neu und ungebraucht. Und man kann sie ganz leicht wieder herausziehen.« Während Burman über seine Ware sprach, offenbar eine Art von Verschlusspfropfen für die Ohren, schien er seine Seekrankheit vergessen zu haben.
Betty nahm die beiden kleinen Gegenstände in die Hand. Sie verströmten einen eigenartigen Duft und sie fühlten sich weich an. »Woraus bestehen sie?«
Burman machte ein weihevolles Gesicht. Dabei schien sich sein langes Kinn noch weiter nach unten zu ziehen. »Das ist selbstverständlich mein Geheimnis. Aber so viel kann ich Ih nen schon verraten: Einer der geheimen Bestandteile ist Schafwolle. Meine Frau in Schottland schert unsere Schafe nach einem bestimmten Muster. Für diese Ware hier nehmen wir nur die besonders fettreiche und ungelaugte Wolle des tiefen Bauchfells.«
Dabei dufteten sie gar nicht nach Wolle, eher nach Honig, stellte Betty fest. Und nach Zimt.
Burmans Gesicht erhellte sich. »Grandios. Das hat noch niemand erschnuppert. Es sind natürlich noch andere Bestandteile
drin, aber Honig und Zimt sind auch dabei. Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen diese beiden Odysseuskugeln verehre. Und dann würde ich Sie gern zum Steuermann führen. Dort nämlich gibt es einen Ofen mit siedendem Teewasser darauf. Und das holen wir uns jetzt!« Burman lachte und zeigte eine Reihe langer gelber Zähne, dann ließ er plötzlich die Reling los und eilte voran.
Wie sich in den folgenden drei Wochen herausstellte, war Thomas Burman ein zwar etwas eigentümlicher, aber doch treu ergebener Mitreisender, der es sich bald zur Aufgabe gemacht hatte, mehrfach täglich einen Krug heißen Wassers bis zur Tür von Bettys Kabine zu befördern. Er sorgte außerdem dafür, dass Betty und Sikki Brot und Mangos bekamen, die der Steuermann nach Gutdünken unter den Leuten aufteilte, die er kannte. War in den ersten Tagen noch die Großfamilie begünstigt, so sorgte jetzt ein Pärchen Odysseuskugeln dafür, dass er Mister Burman seinerseits treu ergeben war. Das Schnarchen des Kapitäns störe ihn nicht mehr, auch nicht das Gejammer der Passagiere und nicht einmal mehr das Stampfen der Dampfmaschine.
Nachdem Sikkis Seekrankheit am siebten Tag der Reise abgeklungen war, begann sie, sich ein wenig
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