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Die Teeprinzessin

Titel: Die Teeprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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einzigen Zoll weit, sosehr sie auch dagegendrückte. Und die beiden Stühle und der chinesische Nähtisch waren viel zu zierlich, um als Hindernis vor der Tür zu dienen. Blieb nur die Kommode. Betty drückte dagegen und schaffte es mit großer Anstrengung, sie ein kleines Stückchen weit in Richtung Tür zu schieben. Ein Holzspan löste sich aus den Bodendielen und knirschte. Sie stemmte sich gegen die Seite und schob die Kommode ein Stückchen weiter. Und noch ein weiteres. Als sie es endlich geschafft hatte, die Kommode vor die Tür zu schieben, rann ihr der Schweiß die Schläfen hinunter.
    Sie warf sich auf das Bett. Fast war es, als ob sie darauf zusammenbrach. Tränen rannen ihr Gesicht hinunter. Sie weinte das erste Mal seit Monaten. Sie schluchzte, bis es dunkel wurde um sie und sie nur noch träumte, dass sie weine. Vor dem Fenster schwirrten einige Glühwürmchen, als Betty mitten in der
Nacht erwachte. Es war immer noch sehr warm draußen. Was sollte sie nur tun? Wohin konnte sie gehen? Betty drückte ihr Gesicht in die Kissen.

4
    Als sie am nächsten Morgen erwachte, drangen leise Geräu sche aus der Werkstatt. Aber es war nicht das übliche Rauschen des Blasebalgs, mit dem das Feuer im Schmelzofen angefacht wurde, es war auch nicht das Schlagen der Silberhämmer. Sie hörte die Stimme des Vaters, die beschwichtigend war wie immer, dazwischen Elkhubers dröhnender Bass, der seltsamerweise höher und aufgeregter war als sonst. Hatte der Vater von dem nächtlichen Übergriff erfahren und stellte Elkhuber nun zur Rede? Stimmte es vielleicht gar nicht, dass der Vater die Nacht über im Wirtshaus gelegen habe? Betty sprang aus dem Bett und beeilte sich, ihre Kleider anzuziehen und die Haare zu ordnen.
    Elkhuber kam ihr auf dem Flur mit seinen langen Schrit ten entgegengestürmt, zwinkerte ihr zu und verschwand pfeifend in der Küche, wo Frau Pannfisch ihm freundlich einen guten Morgen wünschte. Betty drückte sich an der Wand entlang, konnte aber trotzdem nicht verhindern, dass ihr langer Rock ihn streifte.
    Der Vater saß mit dem Rücken zur Tür an seinem Werktisch vor dem Fenster. Wie vertraut ihr die große Werkstatt war! Der Duft des geschmolzenen Silbers, der einen derben Geschmack auf der Zunge hinterließ, auch wenn man ihn nur atmete, die Süße der Polierkreide, das Feuer, das heute nur schwelte. Berthold Henningson drehte sich nicht einmal zu seiner Tochter um, er schien auch so zu wissen, dass sie es war.
»Setz dich zu mir, Kind!« Sein Rücken in seinem dunklen Meisterkittel sah gebeugt aus.
    Betty setzte sich auf den kleinen Schemel neben dem Werktisch. Hier hatte sie früher, als sie noch klein war, ganze Nachmittage verbracht und dem Vater zugesehen. Er war kein Geschichtenerzähler. Meist hatte er nur auf seinem Schemel gesessen und weitergearbeitet. Aber der kleinen Betty hatte es immer gereicht, dass er einfach nur da war.
    Berthold Henningson war als jüngster Sohn eines Silberschmiedes in einem Dorf am Niederrhein geboren worden und nicht weit herumgekommen in der Welt. Aber eine Stadt kannte er doch: Antwerpen. Dort hatte er die Gesellenzeit bei einem der alteingesessenen Silberschmiede verbracht und dort hatte er auch Marijn kennengelernt, deren zarte Schönheit ihn sofort bezaubert hatte und die er zwei Jahre später heiratete. Als Marijn kurz darauf an der Lunge erkrankte und sich ihre ohnehin zierliche Gestalt fast aufzulösen schien, hatte der Arzt als einzige Möglichkeit zu einem dauerhaften Luftwechsel geraten.
    So war es gekommen, dass Berthold Henningson mit sei ner jungen Frau nach Emden übersiedelt war, in eine Stadt, in der er niemanden kannte und in der er nicht erwünscht zu sein schien. Und in der stets ein frischer Meerwind den Rauch aus den Schornsteinen davonblies. Es gab hier bereits zwei Silberschmiede, deren Familien einander seit zwei Jahrhunderten Konkurrenz machten. Durch die Ankunft des einsilbigen jungen Mannes und seiner fast durchsichtig wirkenden Frau schien nun alles durcheinanderzukommen. Der Widerstand der Bürger legte sich erst, als die henningsonsche Silberschmiede in ihrem Fenster die ersten Werkstücke auslegte - eine Teetasse mit Löffel, eine silberbeschlagene Teedose und einen dazu passenden Maßlöffel, beides nach zarten Entwürfen von Marijn
Henningson gearbeitet. Hatte man so etwas Schönes jemals gesehen? Auf dem silbernen Reifen, der die Tasse hielt, war der Seeweg nach China, ins Land des Tees, nachgebildet. Der passende Maßlöffel

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