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Die Teeprinzessin

Titel: Die Teeprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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der Zunge, wendete
sich dann aber offenbar wieder ihren eigenen Geschäften zu.
    Seltsam, dass niemand ihr sagte, wo Frau Tollhoff sie erwartete. Insgeheim hatte Betty gehofft, dass die Dame des Hauses oben an der Kellertreppe stehen würde, um sie mütterlich in die Arme zu schließen. Aber in der Diele war niemand. Überhaupt gab es hier nur recht wenige Möbel. Dort stand nichts als eine riesige weiße Standuhr, die mit Füchsen und Eisbären bemalt war. In ihrem Inneren schwang ein Pendel in der Form eines Messers. War das wirklich möglich? Die Uhr tickte vernehmlich. Betty horchte einen Moment, dann schritt sie durch den Flur und öffnete die Tür, die dem Hausportal am nächsten lag. In den großen Häusern, die sie kannte, bei Asmussens zum Beispiel, lag an dieser Stelle der Empfangsraum. Und so war es auch hier, stellte sie glücklich fest. Die Tür schwang leise auf.
    Sie wusste später nicht mehr genau, was sie erwartet hatte. Das jedenfalls nicht. Der große Raum war wie auch die Diele fast ganz in den Farben Weiß und Silber eingerichtet, sogar die dicken Fauteuils waren mit weißem Pelz bezogen und auf dem schimmernden Parkett lagen verschiedene weiße Felle. Einige von ihnen endeten in den ausgestopften Köpfen der Tiere, denen sie gehört hatten. Soweit Betty das sehen konnte, waren mehrere Füchse darunter und ein halbes Dutzend dicker Eisbären, die ihr wütend entgegenzustarren schienen. Die Sonne schien durch weiße Spitzengardinen, die sich bis auf den Boden bauschten. Trotz des frühlingshaften Wetters brannte ein loderndes Feuer im Kamin. An einem kleinen weißen Tischchen vor dem Fenster saß eine weizenblonde Frau. Das musste Frau Tollhoff sein. Betty hatte sie sich eigentlich erheblich älter vorgestellt, aber der erste Eindruck täuschte. Sie mochte etwa fünfzig Jahre sein.

    »Guten Tag«, sagte Betty und machte einen vorsichtigen Knicks. »Ich bin Betty, Ihre neue Haustochter! Ich soll auch recht schön von Albert Asmussen grüßen, Teehändler zu Emden, er ist der beste Freund meines Vaters.«
    »Wer?« Antje Tollhoff hob gelangweilt den Kopf. »Einen Asmussen kenne ich nicht. Mein Vater war Teehändler und mein Bruder ist es auch. Seit wann geben Teehändler die Töchter ihrer Freunde als Dienstmägde weg?« Ihre Stimme war leise, aber kalt wie Eis.
    Betty sah, dass die Augen der Frau von wässrigem Blau waren. Ihr Gesicht war stark gepudert. Die mit einem grellen Rot bemalten Lippen wirkten wie eine einzelne Erdbeere in einer Schale Milch.
    »Warum trägst du keine Schürze?«
    Betty schluckte. »Ich bin als Haustochter gekommen.« Ihre Stimme zitterte, und sie ärgerte sich darüber, weil es für ein Zittern ja wohl kaum einen Grund gab. »So war es verabredet. Mein Vater ist Silberschmied, ich bin keine Dienstmagd!«
    »Haustochter«, wiederholte Antje Tollhoff tonlos und tupfte mit der Fingerkuppe etwas überschüssige Lippenfarbe aus ihrem Mundwinkel. »Ich werde das bei Gelegenheit mit dem gnädigen Herrn klären. Und mit Theodor, unserem Sohn.« Sie stöhnte theatralisch. »Haustochter! Nie gehört, das Wort. Wer weiß, was es damit nun wieder auf sich hat? Bis es so weit ist, gehst du nach unten und ziehst dich anständig an, Frau Meier wird dir sagen, was deine Arbeit ist und was du zu tun oder zu lassen hast.« Sie zögerte und betrachtete ein Fleckchen roter Farbe auf ihrem Finger, bevor sie sie mit einem Taschentuch abrieb. »Oder du verschwindest sofort aus meinem Haus. Es gibt einen Kellerausgang. Hier hat niemand auf dich gewartet. Dienstboten gibt es in diesem Frühjahr so zahlreich wie Kakerlaken in den Gängen.«

    Damit wendete sie sich ab und vertiefte sich wieder in die Betrachtung ihrer Finger.
    Trotz der Wärme in diesem Raum fühlte Betty sich wie festgefroren. Vor ihrem inneren Auge sah sie eine mögliche Zukunft an sich vorbeistreichen: ihre Rückkehr nach Emden. Die Nachstellungen von Elkhuber. Ein Leben in der Schande, für den Brand verantwortlich gemacht zu werden. Und was hieß überhaupt Rückkehr? Die zehn Mark Kurant, die sie bei sich hatte, würden kaum für ein Billett reichen, geschweige denn für ein paar Tage, in denen sie auf sich gestellt wäre, bis wieder ein Zug in die Heimat fuhr. Ob sie Anton bei den Remburgs aufsuchen sollte? Würde er ihr helfen können? Hatte sie vielleicht doch irgendetwas falsch verstanden und wurde im Haus des Teehändlers Remburg als Haustochter erwartet? Und was fiel dieser Frau Tollhoff nur ein, sie zu maßregeln

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