Die Teeprinzessin
sie endlich den Stand am Rande des Marktes erreicht, an dem das Spiel mit den Hüten gespielt wurde. Auch hier standen die Menschen dicht gedrängt, aber viele von ihnen schauten nur zu, ohne sich an den Spielen zu beteiligen. Betty machte einen langen Hals und berührte fast eine feine junge Dame, die sich wütend zu ihr umschaute.
Die Regeln für das Spiel schienen ganz einfach zu sein. Ein Mann versteckte eine Münze unter einem von drei gleichartigen schwarzen Hüten. Dann schob er die Hüte vor den Augen des Publikums hin und her, mal in diese und mal in jene Richtung. Nun konnte ein Mitspieler darauf wetten, wo die Münze lag. Man musste einen Teil seines Geldes einsetzen und bekam dafür das Fünfzigfache zurück. Wenn man denn gewann. Es war puppenleicht, das sah Betty sofort. Man musste nur die Hände des Spielleiters beobachten. Hier ging es wohl um Geschicklichkeit und nicht um Zauberei. Ein Mann, der dem Spieltrieb erlegen war, schien nicht so gut hinschauen zu können. Er verlor Mark für Mark und wählte immer wieder die falschen Hüte aus, obwohl ihm das Publikum bald zujohlte, welchen Hut er aufnehmen musste, um zu gewinnen. Als er
endlich auf das Rufen der Zuschauer hörte, gewann er tatsächlich 50 Mark Kurant. So viel Geld! Es war ein richtiges kleines Säckchen voll. Die Menschenmenge tobte. Der Mann stopfte sich die Münzen in die Taschen und zog froh von dannen. Dabei drängte er sich an Betty vorbei. Ein Hauch von säuerlichem Kaneel streifte ihre Nase. Woher kannte sie diesen Duft? Das war doch derselbe Mann, den sie schon bei der Ankunft beobachtet hatte! Betty erkannte ihn jetzt wieder. Und der andere, der Spielleiter, war der Mann, der neulich am Hafen die fettige Wurst gegessen hatte. Wurst gehörte wohl zu seinen gro ßen Leidenschaften, denn sein schwarzer Rock war voller Fettflecken unterschiedlicher Größe. Die beiden Männer kannten einander offenbar und sie arbeiteten zusammen! Das war der ganze Trick! Der eine tat so, als ob er immer verlieren würde. Das weckte bei den Zuschauern die Zuversicht, es selbst besser machen zu können.
»Wie viel hat dein Vater verspielt?«, raunte Betty.
Didi zog stockend den Atem ein. »500 Mark waren es«, flüsterte er. Das Entsetzen darüber machte ihn noch bleicher.
»500?«, zischte Betty zurück. »So viel?« Die Frau vor ihr sah sich verwundert zu ihr um. Der Betrag war bestimmt das Dreifache von dem, was die Leute hier in einem ganzen Jahr verdienten.
Didi nickte unglücklich. »Es war unser ganzes Geld für die Passage nach Amerika. Und für das neue Leben. Es hätte fast schon gereicht, wir wollten nach dem Sommer fahren. Zuerst hat Vater nur fünf Mark verspielt und damit 50 Mark gewonnen, dann dachte er, dass er es noch mal versucht, aber mit unserem ganzen Geld. Ein so hoher Betrag würde lange reichen und wir wären gerettet. Er ist extra in unsere Unterkunft gelaufen gekommen und hat das Geld geholt. Und mir hat er auch Bescheid gesagt, damit ich sehen kann, was für ein gutes
Augenmaß er hat.« Didi sah zu Boden. »Ich weiß auch nicht, warum das nicht gelungen ist!«
Betty verzog das Gesicht. »Aber ich weiß es. Sie lassen einen einmal oder zweimal gewinnen, so lange bis man denkt, man gewinnt immer. Dann setzt man einen großen Betrag und dann nehmen sie einen aus.«
Betty bemerkte, wie neben der Bude des Zuckerbäckers nun wieder der Mann mit der Kaneelstange im Mund auftauchte. Er hatte unterdessen die Kleidung gewechselt; er trug nun einen Hut aus geschorenem Biberfell, einen eleganten dunklen Überzieher, gestreifte Hosen und ein leuchtend grünes Hemd. Er schlenderte langsam näher, mischte sich unters Volk und tat so, als ob er die Szene beobachtete.
»Meine Herrschaften! Wer unter Ihnen einen guten Blick hat für die kleinen Dinge auf Gottes schöner Welt, möge sein Glück versuchen! Ob Alt oder Jung - bei diesem Spiel bekommt jeder seine verdiente Chance. Kommen Sie näher, die Herrschaften!« Der Spielleiter lächelte eine junge Magd an, die schon in ihrer Schürze nach einem Geldstück kramte. »Jeder Einsatz wird genommen und sei er noch so klein. Oder noch so groß! Wer den Hut mit dem Goldstück herausfinden kann, gewinnt den 50-fachen Einsatz!«
Betty drängelte sich nach vorn. Das Hausmädchen hatte unterdessen ihren Schilling gesetzt und zog überglücklich mit drei Mark und einer Handvoll Sechser wieder ab. Bildete Betty sich das nur ein, oder zwinkerte das Mädchen nun dem zwei ten Mann zu, der
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