Die Teeprinzessin
nahen Jungfernstieg saßen Damen mit großen Hüten in den Pavillons, nippten an ihren Kaffeetassen und beobachteten dabei, wie ihre halbwüchsigen Töchter mit den ebenfalls halbwüchsigen Söhnen ihrer Geschäftsfreunde Federball spielten oder einfach nur die Frühlingsluft genossen.
Betty war immer noch etwas außer Atem und blieb unter einem kräftig blühenden Kirschbaum stehen. Viele der jungen Leute waren etwa in ihrem Alter. Die Mädchen hatten fast ausnahmslos weiße oder zartpastellfarbene Kleider an, viele trugen dazu passende Sonnenschirmchen und kleine Hüte mit blauen oder weißen Bändern, ein Zeichen dafür, dass sie noch zu haben waren und zumindest in den Augen ihrer Mütter noch den Kindern zugerechnet werden sollten. Die meisten jungen Männer waren in weiße Hosen und helle englische Sportpullover gewandet, die Kleineren rannten in kurzen Hosen umher und trugen dazu einen Matrosenanzug mit passendem Hut. Die Tulpen in den Beeten wogen ihre schweren rosa Köpfe.
Betty fühlte sich in ihrem dunkelgrünen Noppenkostüm merkwürdig deplatziert. Selbst die Kindermädchen in ihren dunkelblauen Sonntagstrachten mit den weißen Volantschürzen waren noch hübscher gekleidet als sie selbst. Sie kam sich vor wie eine etwas abgetakelte Gouvernante. Der Unterschied war nur, dass sie keine entsprechende Stellung in einem der feineren Häuser innehatte.
Betty hätte Anton fast nicht erkannt. Schmuck sah er aus in
seinem hellen Sommeranzug, dessen Jacke er offenbar über einen Baumstamm gelegt hatte. Und wie erwachsen er auf einmal wirkte! Die hellen Haare trug er der Mode entsprechend lang. Er spielte in Hemd und Hosenträgern mit hochgekrempelten Hosenbeinen barfuß mit drei oder vier anderen Burschen und ebenso vielen jungen Mädchen Federball. Die Damen auf den Terrassen beobachteten jede Bewegung der jungen Leute. Einige scheuten sich nicht einmal, die moralische Untadeligkeit des Spiels durch ihr Opernglas zu überwachen.
Mehr als einen Schlag mit dem Federballschläger und dem kleinen Schlaghütchen tätigten die Mädchen aber offenbar selten, dann standen sie schon wieder beieinander und tuschelten miteinander. Anton und die anderen jungen Männer ließen sie lächelnd gewähren. Ein seltsamer Friede lag über der Szene. Ein Paddelboot zog vorbei. Betty blinzelte.
Anton hatte wieder einmal den Federball aus einer Tulpenrabatte gefischt, als er plötzlich in Bettys Richtung schaute und erstarrte. Er hatte sie gesehen! Betty hob die Hand ein wenig. Den Blicken dieser Gesellschaft wollte sie sich nun gewiss nicht aussetzen. Anton kam zu ihr hinübergerannt.
»Betty!« Viel hätte nicht gefehlt und er hätte sie umarmt. Vor dem Pavillon hob eine der Damen ihr Lorgnon an die Augen.
»Anton!« Sie merkte, dass sich ein Kloß in ihrer Kehle gebildet hatte.
»Meine Tante hat mir schon vor Wochen geschrieben, dass du beim Pelzhändler Tollhoff als Haustochter untergekommen bist. Unsere Köchin kennt die Köchin der Tollhoffs, aber dort hat man von dir noch nicht gehört. Ich habe auch Franziskus Tollhoff im Hanseatischen Klub auf deinen Vater angesprochen! Direkt zu fragen, wäre ja wohl nicht schicklich gewesen. Aber der kannte euch auch nicht! Und die alte Pannfisch ist
auch nicht nach Emden zurückgekehrt, es heißt, sie sei erkrankt und lebe nun bei ihrer Schwester.«
Betty sah Anton aus großen Augen an. »Franziskus Tollhoff sagst du? Ich bin bei Karl Tollhoff und seinem Sohn Theodor!« Ihr wurde ganz seltsam zumute. War sie etwa bei der falschen Familie untergekommen?
Anton schüttelte den Kopf. »Ach so, ich glaube, das ist der Bruder, die beiden wohnen angeblich am Cremon nur vier oder fünf Häuser voneinander entfernt. Sie sind beide Pelzhändler und sie sollen wegen eines besonders wertvollen wei ßen Tigerfells zerstritten sein, sagt man. Angeblich haben sie seit dreißig Jahren kein Wort mehr miteinander gewechselt!« Er lachte. »Es ist so gut, liebste Betty, dich gesund wiederzusehen. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht! Ich muss dir unbedingt etwas zeigen! Aber du darfst keinem etwas sagen. Komm in einer Stunde zum Steinweg 44. Du läutest bei Aberdira, kannst du dir das merken? Aberdira? Warte dort auf mich!«
»Anton!«, rief eine Stimme vom Pavillon her. »Würdest du bitte einmal zu mir kommen!«
Betty drehte den Kopf, ohne es zu wollen, und sah, wie eine feine weiß behandschuhte Hand Anton zuwinkte. Vier Gesichter unter großen Hüten waren ihnen nun zugewandt.
»Die große ist
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