Die Teeprinzessin
zu bezahlen. Aber sie gründeten doch immerhin einen eigenen gemeinsamen Hausstand und teilten erst dann Tisch und Bett. Und sie waren, wenn sie das taten, bestimmt älter, und nicht erst sechzehn Jahre alt, wie Fenja und ihr Jan-Hinnerk.
»Fenja, das ist nicht gut, was du tust. Das ist gewöhnliche Pfefferminze. Ich habe noch nie gehört, dass sie eine solche Wirkung hat. Und weitere Kräuter sind zumindest in diesem Säckchen nicht enthalten. Du bist einer Betrügerin aufgesessen. Was willst du machen, wenn du ein Kind bekommst? Du weißt genau, dass die Herrschaften dir dann kündigen werden!« Betty war so von Mitleid für ihre Freundin ergriffen, dass ihr selbst ganz verzweifelt zumute wurde. »Es geht dir doch noch gut? Ich meine, dass dir gestern so übel war, das kam doch von der verschimmelten Sauermilch, nicht wahr?«
Fenja hustete. Dann hielt sie sich die Hand vor den Mund, um das Würgegeräusch zu unterdrücken, das sie plötzlich zu
überkommen schien. »Sprich bitte nicht wieder von dieser...«, sie hustete, »von dieser Sauermilch! Bitte, Betty!« Die Haut um ihren Mund herum sah ganz grau aus. Und war sie nicht im Gesicht etwas fülliger geworden?
Sie fädelten eine Weile schweigend weiter ihre Bohnen auf. Dann schluchzte Fenja plötzlich auf und legte den Kopf in die Arme. Trösten lassen wollte sie sich nicht.
6
Es dauerte keine Woche, bis Fenja ganz verschwand. Sie hatte die alte Haushälterin mehrfach um ihren Lohn angegangen. Jetzt, wo Antje Tollhoff in die Sommerfrische nach Blankenese umgesiedelt war und Alida Meier damit die einzige erwachsene Bewohnerin des Hauses am Cremon war, war es auch an ihr, die Löhne an die beiden noch verbliebenen Hausmädchen auszuzahlen. Sogar Betty hatte an Ultimo ihre 40 Schilling erhalten, zu wenig, um sich damit Stoff für ein Kleid kaufen zu können, aber immerhin mehr, als die meisten Hausangestellten in den anliegenden Häusern bekamen.
Fenja sollte ihren Lohn jedoch nicht bekommen. »Ich gebe dir dein Geld nicht! Ich weiß, wo du damit hinwillst!«, dröhnte die laute Stimme der Haushälterin durch die Küche. »Bevor du dir solche gottlosen Dinge auch nur vorstellst, hättest du lieber vorher daran denken sollen, was passiert, wenn man sich mit einem Mann einlässt!«
Fenja presste die Lippen so fest aufeinander, dass sie ganz weiß wurden. »Ich weiß überhaupt nicht, was Sie meinen!«
»Dass du dir dein Leben ruiniert hast, bevor es überhaupt angefangen hat, das meine ich damit!«, sagte Alida Meier schnippisch. »Und komm bloß nicht auf den Gedanken, in den Mühlenbach
zu springen und dir das Leben zu nehmen, so wie man das jetzt von so vielen Mädchen hört, die sich wohl auch mit jungen Burschen eingelassen haben und nun nicht mehr ein noch aus wissen.« Alida Meier war ehrlich empört. »Das Hausmädchen von Bloom-zu-Bloom haben sie gestern in Eppendorf rausgefischt. Die ist sogar in ein Rad gekommen. Hat sie wohl absichtlich gemacht, damit es schneller vorbei ist. Und von den Walters sollen sich gleich zwei umgebracht haben!« Sie nahm ein Ei aus einem Korb und schlug es in einer Tasse auf. »Was ist nur los mit all den Mädchen? Unser Huhn legt auch wie verrückt. Muss wohl ein tüchtig fruchtbares Frühjahr gewesen sein!«
Fenja antwortete mit einem Strom von Tränen.
Es war nicht mit anzusehen, fand Betty. Fenja war ihre Freundin geworden. Warum nur vertraute sie sich ihr nicht an? Aber hätte Betty überhaupt mehr tun können, als ihre Hand zu halten? Zu Hause in Emden mussten die bürgerlichen Mädchen meistens die Stadt verlassen, wenn sie ein uneheliches Kind zur Welt brachten. Aber wohin gingen sie? Betty hatte niemals darüber nachgedacht. Gingen sie etwa nach Hamburg? Das schloss Betty aus. Hier konnte eine junge Frau ja kaum für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen. Oder brachte man sein Kind in so einem Fall in die Kinderbewahranstalt? Betty war einmal daran vorbeigelaufen, als sie sich auf dem Weg vom Fischmarkt zum Cremon im Gewirr der Straßen verirrt hatte. Das Wimmern der Kinder hörte man schon von Weitem und sauber sah es dort auch nicht gerade aus. Betty musste sich eingestehen, dass sie über diese Dinge noch niemals nachgedacht hatte. Gab es überhaupt eine Möglichkeit, Fenja zu helfen?
An einem Sonntag im August sahen sie einander das letzte Mal. Die Luft stand in den Straßen und auch die dicken Wände
des Hauses am Cremon konnten der Wärme nicht mehr trotzen. Hier drinnen war es fast so schwül wie
Weitere Kostenlose Bücher