Die Teeprinzessin
viele freie Tage.
Fenja straffte sich. In letzter Zeit hatte sie zu allem und jedem eine Meinung. »Wann haben die Mädchen denn dann
überhaupt frei? Jan-Hinnerk sagt, dass sich die Zeiten bald ändern werden. Dann schließen sich die Arbeiter alle zusammen und dann hat auch das Hauspersonal viel mehr freie Tage!« Fenja senkte die Stimme. »Er ist dem kommunistischen Verein beigetreten. Das ist aber geheim. Du darfst es keiner Menschenseele sagen, schwörst du das?« Betty nickte lächelnd. Ismael und Anton würden sich gewiss nicht für diese Dinge interessieren. Und sonst kannte sie ja überhaupt niemanden in der Stadt.
Es war ein friedlicher sonniger Nachmittag. Die Haushälterin war ausgegangen, um ihren Bruder zu besuchen. Die Mädchen saßen am großen Tisch in der Küche und fädelten grüne Bohnen zum Trocknen auf lange Bänder. Auch die waren in diesem Jahr vier Wochen vor der Zeit reif geworden.
»Überhaupt kann man viel mehr machen, als man gedacht hat, wenn man es nur richtig anfängt. Und wenn man modern ist«, fuhr Fenja fort. Sie senkte die Stimme wieder, obwohl niemand da war, der ihnen zuhören konnte. »Ich spreche von den Sonntagen!«
»Wie meinst du das?« Betty betrachtete ihre Hände, die die frischen grünen Bohnen schon ganz schwarz gefärbt hatten. »Was ist denn an den Sonntagen los?« Ob Fenja vielleicht in dem Pavillon am Jungfernstieg Kuchen gegessen hatte, in dem Hauspersonal offiziell nicht bedient wurde? Viele Mädchen träumten davon, einmal dort zu sitzen und auf das glitzernde Wasser zu schauen, während sie selbst bedient wurden.
Fenja beugte ihren Kopf so weit über die Tischplatte, dass sie der langen Stopfnadel schon gefährlich nahe kam, mit der Betty das Bohnenband durch die Schoten zog. »Du hast mich doch im Frühling auf dem Markt gesehen, als ich vor dem Zelt anstand. Weißt du noch?«
Betty nickte. »Ja, ich wollte dich nie fragen, weil ich dachte,
dass es dir unangenehm sein könnte. Das war sicher eine Wahrsagerin, die du über deine Zukunft befragt hast. Aber das ist nicht modern, solchen Leuten zu glauben, egal, was sie gesagt hat, es ist dumm.«
»Ach, das weiß ich doch!« Fenja machte eine abwehrende Handbewegung. »Sie hat mir ja gar nichts gesagt. Sie hat mir etwas gegeben !« Fenja griff in die Untertasche ihrer Schürze und zog ein weißes Leinensäckchen hervor, das mit winzigen roten Röschen bestickt war. »Was glaubst du, was da drin ist?«
Betty schloss die Augen. Der Duft war schwach. »Getrocknete Pfefferminze. Ziemlich alte Minze, würde ich mal sagen!«
Fenja schüttelte den Kopf. »Nein, da sind auch noch ganz viele andere Kräuter drin. Geheime Kräuter. Und du ahnst nicht, wozu sie gut sind! Alle nehmen den Tee, Betty, ehrlich, das ist eine gute neue Erfindung! Else hat es mir geraten. Auch wenn man es sich natürlich etwas kosten lassen muss.« Sie errötete zart. »Jetzt will mir aber Jan-Hinnerk das Geld für die neuen Kräuter geben. Ich hoffe nun sehr, dass die Kräuterfrau nächste Woche auf dem Sommermarkt ist! Bei den letzten Märkten war sie leider nicht. Diese Kräuter hier reichen nicht mehr lange!«
Betty hatte nach dem Beutelchen gegriffen und schnup perte daran. Sie roch pure Pfefferminze, nichts sonst. Und vielleicht noch etwas Schweiß. »Ich verstehe nicht, wozu das gut sein soll.«
Fenja senkte die Stimme so weit, dass Betty fast gar nichts mehr verstehen konnte. »Du machst dir einen Aufguss davon. Es reichen sehr wenige Kräuter, sie sind eben etwas ganz Besonderes. Von dem Aufguss nimmst du dann jeden Freitag ein Tässchen.« Sie verzog das Gesicht. »Es schmeckt gar nicht so schlecht!«
Betty schüttelte den Kopf. »Nach Pfefferminze wird es wohl schmecken, nach alter Pfefferminze, die jemand zu lange im Beutel mit sich herumgetragen hat.«
Fenja nickte ungeduldig. »Aber dafür kannst du deinem Freund dann auch alles erlauben!« Sie lächelte selig. »Und es hat keine Folgen!«
»Wieso? Was hat keine Folgen?« Betty war sich nicht sicher, dass sie verstand, was Fenja meinte.
»Es kommt eben kein Kindchen, solange man fleißig den Aufguss trinkt«, flüsterte Fenja. »Man kommt in keine anderen Umstände. Das meine ich!«
Betty schwirrte der Kopf. Sollte das bedeuten, dass Fenja sich bereits mit einem Mann einließ? Vor der Ehe? Man sagte zwar, dass viele der einfachen Hausangestellten und Hilfsarbeiter in der Stadt ohnehin nicht auf eine Heiratserlaubnis hoffen konnten und auch nicht in der Lage wären, sie
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