Die Teeprinzessin
Mich soll das nicht kümmern. Mir ist es ehrlich egal, wer Sie sind. Sie wollen ja hier nicht anheuern. Wenn Sie ein Mann wären, sähe die Sache anders aus. Dann kämen Sie gefesselt zum Anker in den Ankerkasten und könnten sehen, ob Sie es überlebten, bis wir wieder in Hamburg wären. Aber mit einer jungen Dame, selbst mit einer so liederlichen wie Ihnen, ist mir das zu umständlich. Ich werfe Sie einfach in Kalkutta von Bord, dann können Sie dort Ihr Unwesen treiben. Vielleicht ist das Strafe genug. Kapitän Porgendorff
von der Fortuna aus Hamburg hat vor zwei Jahren mal eine Fuhre Teepflanzer dahin gebracht. Die wollten alle nach Darjeeling. Die meisten waren schon von den Mücken zerfressen, bevor sie überhaupt ihre Koffer wieder gefunden hatten.«
»Darjeeling?« Bettys Stimme quiekte so hoch, dass der Kapitän sie verwundert von der Seite ansah. Allein beim Klang dieses Wortes wurde es Betty schwach in den Knien. Von Darjeeling hatte Francis gesprochen. Dort lag seine Plantage. Von dort kam auch dieser betörende Tee. Sie konnte kaum noch den Ausführungen des Kapitäns folgen.
Er griff in die Tasche seiner dunklen Jacke und pfriemelte eine Dose Kautabak hervor, um sich gleich darauf genüsslich ein Fetzchen hinter die Wange zu schieben. »Ausgezeichnete Idee. Wenn mich jemand fragt, werde ich sagen, Sie sind über Bord gegangen und ein Hai hat sich an Ihnen den Magen verdorben. Vielleicht rülpst er mal, und dann kommen Sie als Ambra wieder hoch, das werde ich auch noch sagen. Dem alten Remburg werde ich einen Brief schreiben, sobald wir in Kalkutta angekommen sind. Mit einer Verbrecherin an Bord segele ich jedenfalls nicht durch die Straße von Sunda. Mir reichen schon die Piraten, die da in der Meerenge auf uns warten und die uns das Handelsgeld auf direktem Wege abnehmen wollen! Das spart uns enorm Arbeit. Dann müssen wir gar nicht erst nach Tee suchen.« Er schnaubte wie ein altes Walross, dann stand er aus dem Stuhl auf und verließ ohne ein weiteres Wort die Kabine.
Hatte sie wochenlang nicht an Deck gewollt, um sich nicht zu zeigen, so befand sich Betty nun in einer Situation, in der sie nicht mehr an Deck durfte. Magdalene war es, die ihr die Nachricht überbrachte. Hereinkommen wollte sie allerdings nicht. »Du verzeihst mir doch, dass ich es verraten habe, oder, Betty? Sie haben mich gefragt, ob ich in der Kabine war, und
da bin ich rot geworden. Ich weiß auch nicht, warum. Da haben sie gesagt, dass sie meinen Bräutigam über mein liederliches Leben unterrichten wollen. Wo er doch ein Hirte des Herrn ist.«
»Und das hast du geglaubt?« Betty konnte nicht einmal mehr Wut empfinden.
»Und dann hat der Kapitän noch gesagt, dass er diesen Anton einmal auf einem Empfang gesehen hat und dass es unwahrscheinlich ist, dass jemand wie der eine Frau überhaupt...« Der Rest ihres Satzes ging in einem hysterischen Kichern unter. »Das muss ja ein Bübchen sein. Deswegen sind wir aufgeflogen. Nicht, weil ich es verraten hätte!«
Betty war so wütend, dass sie Magdalene die Tür vor der Nase zuschlug. Sie wollte nichts mehr hören. Sie setzte sich auf ihre Koje, stützte den Kopf in die Hände und überlegte, wie sie es anstellen könnte, zwanzig Kisten Tee zu je 60 Pfund zu kaufen und damit nach Hamburg zurückzukehren.
Die Fahrt nach Kalkutta dauerte länger, als sie erwartet hatte. Wieder lagen sie mehr als eine Woche in einer Flaute, kurz darauf erkrankte ein Drittel der Mannschaft am Fieber, und als der Wind Anfang März umso heftiger ausbrach, waren kaum noch genügend Matrosen da, die die Rahen hochklettern und die Segel setzen konnten.
Sie spürte die Stadt, bevor sie bemerkte, dass das Schiff in der Reede vor Anker ging. Es waren nicht nur die Geräusche an Deck, das aufgeregte Geschabe der Kisten, da der Koch den unerwarteten Aufenthalt wohl doch schnell nutzen wollte, um für den Rest der Fahrt frischen Proviant aufzunehmen. Es war nicht einmal die aufgeregte Frauenstimme, die sich in dem Gang vor den Kabinen lautstark über die Änderung der Reiseroute und über das - wie sie keifte - schier unerträgliche Klima
beschwerte. Es war der Duft, der Betty betörte. Er war anders als alles, was bislang ihre Nase gestreift hatte. Wenn sie die Augen schloss, spürte sie das dunkle Grün des Wassers in den tief ausgewaschenen Buchten vor dem River, sie konnte die hellen Sprenkel des Sonnenlichtes sehen, die im Wasser glitzerten wie Sterne, und sie konnte fühlen, dass in diesem Hafen
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