Die Teerose
wußte, was er tat, war er schon ausgestiegen und überquerte die Straße. Als er auf den Gehsteig trat, ging erneut die Ladentür auf, und ein junger Mann kam heraus. Er nahm ihr die Stange ab, rollte die Markise ganz auf, dann hob er sie plötzlich hoch, wirbelte sie herum, und beide lachten aus vollem Hals. Als er sie wieder abstellte, küßte er sie auf die Wange.
Will blieb unvermittelt stehen. Der Mann war natürlich ihr Ehemann. Aus irgendeinem Grund hatte er gedacht, sie sei nicht verheiratet. Sie war ihm so allein vorgekommen damals in der Bank, als hätte sie niemanden, der sich für sie einsetzte, niemanden, der sie unterstützte. Als er die beiden beobachtete, wunderte er sich über ihre Begeisterung, ihre Ausgelassenheit. Sie mußten einen guten Tag gehabt, Geld eingenommen haben. Daß ein paar Dollar jemanden so glücklich machen konnten, erstaunte ihn. Anna, seine verstorbene Frau, hatte ihn nie so umarmt, nicht einmal, als er seine erste Million verdient hatte. Plötzlich wünschte er sich, er säße wieder in seiner Kutsche. Er fühlte sich wie ein Eindringling, kam sich fehl am Platz vor und war zu seiner Verwunderung schmerzlich enttäuscht. Er wandte sich zum Gehen, hoffte, daß ihn niemand gesehen hatte, aber im selben Moment entdeckte ihn Fiona. Ihr bereits vor Freude strahlendes Gesicht leuchtete noch mehr auf.
»Mr. McClane! Sieh nur, Nick, das ist Mr. McClane, der Mann, von dem ich dir erzählt hab. Der Mann aus der Bank. Ach, Mr. McClane, Sie können sich nicht vorstellen, was für einen Tag wir hatten! Es waren so viele Kunden da! Unglaubliche Massen! Wir sind ausverkauft! Wir haben nichts mehr, absolut nichts mehr! Und alles haben wir Ihnen zu verdanken!«
Und dann eilte sie auf ihn zu und umarmte ihn so fest, daß er fast keine Luft mehr bekam. Er war so überrascht und so entzückt, daß er kein Wort herausbekam. Seine Hände berührten ihren Rücken, und er spürte die Hitze ihres Körpers durch ihre Bluse. Ihr Haar kitzelte sein Gesicht, und ihre Wange fühlte sich wie Seide an. Sie roch nach Butter, Tee und Äpfeln und nach einer warmen, reizend verschwitzten jungen Frau.
Doch plötzlich, als besänne sie sich wieder, riß sie sich los, trat verlegen einen Schritt zurück, und sein ganzer Körper spürte schmerzlich den Verlust ihrer Berührung. »Sie haben so viel für uns getan! Zuerst haben Sie mir den Laden gegeben und dann die Anzeige!« sagte sie. »Wie haben Sie die denn in die World gekriegt? Hab ich eine Kopie bei Mr. Ellis gelassen?« Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern redete atemlos weiter, was ihm eine Erklärung ersparte. »Sie wissen nicht, was das für uns bedeutet … für meine Familie.« Sie lächelte noch immer, aber er sah, wie ihre Augen feucht wurden. »Wir müssen nicht ausziehen, ich muß mir keine Arbeit suchen, die Munros können bleiben und … o nein! Sehen Sie nur, was ich getan hab!« Will folgte ihrem entsetzten Blick auf sein Jackett und sah, daß es mit Mehl bestäubt war. »Tut mir leid! Ich hol schnell ein Tuch!« Sie verschwand in den Laden und ließ ihn mit ihrem Gefährten zurück.
»Sie ist schon ein verrücktes Huhn, nicht wahr?« sagte Nick und sah ihr lachend nach. Dann streckte er die Hand aus. »Ich bin Nicholas Soames, ein Freund von Fiona. Ich freue mich, Sie kennenzulernen.«
Nur ein Freund? Will strahlte und schüttelte ihm die Hand. »Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Sir.«
Fiona kam wieder heraus, machte sich an seiner Jacke zu schaffen und rieb das Mehl nur noch tiefer hinein, bis er ihr versicherte, daß alles gut sei und sich durch Ausschütteln beheben ließe. Insgeheim war er froh, daß Charlie Delmonico für Stammkunden Jacketts und Hosen bereithielt, falls sich jemand bekleckerte. Als sie aufgab und den Lappen in die Schürzentasche steckte, drehte Nick die Gaslampen ab, verschloß die Ladentür und reichte ihr den Schlüssel.
»Ich geh nach oben und seh nach, ob Mary beim Abendessen Hilfe braucht, Fee. Was soll ich damit machen?« Er zeigte ihr die Schachtel von Tiffany, die Will am Morgen geschickt hatte.
»Laß uns noch mal einen Blick hineinwerfen!« sagte sie aufgeregt. Nick öffnete sie. Die Schachtel war voller Noten und Münzen. Sie blickten auf das Geld, dann sahen sie sich an und brachen in Lachen aus wie zwei Kinder angesichts einer Bonbonbüchse. Will konnte sich nicht erinnern, jemals soviel Spaß beim Geldverdienen gehabt zu haben. Vielleicht sollte er seine Minen, seine Sägewerke und
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