Die Teerose
Fragen über die Finanzen eines Freundes, hatte man ihm beigebracht. Aber er empfand ihre Direktheit als erfrischend und ihre Bitte um Rat als schmeichelhaft, weshalb er nicht zögerte, ihr zu antworten. »Mit einem kleinen Familienvermögen als Grundlage, mit Waldland, das ich in Colorado erbte, und mit dem weisen Entschluß, dort mehr Land zu kaufen, weil es viel Silber enthielt.«
Sie runzelte die Stirn. »Ich besitze nichts dergleichen«, sagte sie. »Aber ich hab mir überlegt – wenn der Laden gut läuft, könnte ich noch ein Darlehen aufnehmen und einen zweiten aufmachen. Vielleicht zehn oder fünfzehn Straßen nördlich vom jetzigen …«
»In Hell’s Kitchen? Das glaube ich nicht.«
»Na schön, dann eben südlich. Oder ein paar Straßen weiter östlich. Vielleicht am Union Square. Ich bin dort gewesen, da ist viel los. Und dann könnte ich noch einen aufmachen, und bald hätte ich eine eigene Kette …«
Will sah sie lange an. »Glauben Sie nicht, es wäre klug, eine Weile zu gehen, bevor Sie zu rennen anfangen? Sie haben erst einen Tag eröffnet. Es war ein guter Tag, aber Sie müssen noch ein paar Dinge lernen, bevor Sie den zweiten Laden eröffnen.«
»Als da wäre?«
»Zum Beispiel mit welchen Kunden Sie es zu tun haben. Wenn Sie in Hell’s Kitchen einen Laden aufmachen, wird Ihnen innerhalb von zehn Sekunden das Schaufenster eingeworfen, und Sie werden ausgeraubt. Das ist eine schwierige Gegend. Aber Sie haben recht, am Union Square ist eine Menge los, allerdings kaufen dort wohlhabende Kunden ein, die nach Luxusgütern Ausschau halten, nicht nach Lebensmitteln. Nehmen Sie sich einen Rat zu Herzen, den mir mein Vater gab, als ich anfing, Fiona: Beschäftige dich mit den Dingen, mit denen du dich auskennst. Im Moment kennen Sie sich in den verschiedenen Gegenden der Stadt noch nicht genügend aus, um irgendwo größere Investitionen zu tätigen. Überstürzen Sie nichts. Fangen Sie klein an.«
»Wie denn? Womit?«
Will dachte kurz nach. »Sie haben gesagt, Ihre Kuchen und Plätzchen verkaufen sich gut, richtig?«
Fiona nickte.
»Sie wissen jetzt, daß sich süßes Backwerk gut verkauft, also probieren Sie es mit salzigem. Fleischpasteten … Hühnerpasteten … so etwas. Es ist ein Risiko – vielleicht gehen die Waren nicht –, aber ein kalkuliertes. Die Auswahl bringt’s. Versuchen Sie es mit einem Angebot guter Süßwaren. Wenn die Leute Plätzchen kaufen, stehen die Chancen gut, daß sie auch Schokolade kaufen. Was noch? Der Spargel ist ausverkauft, ja? Gestern abend hatte ich bei Rector’s köstlichen gedünsteten Salat. Nur die Sprossen. Vielleicht kaufen Leute, die frisches Gemüse mögen, auch so etwas. Vielleicht auch nicht, aber Sie sollten alle Möglichkeiten ausprobieren. Jedes Bedürfnis ergründen. Seien Sie die erste, die ihren Kunden bietet, was sie wollen, auch wenn sie noch gar keine Ahnung davon haben.«
Über ihnen ging ein Fenster auf. Eine Frau lehnte die dicken Unterarme auf den Sims und rief mit starkem irischem Akzent: »Sean! Jimmy! Wo zum Teufel seid ihr, ihr Racker? Eure Schweineschnitzel werden kalt! Kommt rein, oder es gibt was auf die Ohren!«
»Schweineschnitzel, Will«, sagte Fiona gequält und machte eine Geste zum Fenster hinauf. »Das ist es, was meine Kunden wollen. Kann ich damit reich werden, wenn ich die verkaufe?«
Will lachte. »Vielleicht nicht. Zumindest nicht gleich. Aber Sie werden dazulernen. Sie werden herausfinden, was sich verkauft und was nicht. Und auf diesem Wissen werden Sie aufbauen. Sie werden schlau werden, Fiona. Und das ist der erste Schritt zum Reichtum.«
»Wirklich?«
»Ja. Ich hätte meine Silberminen nicht gekauft, wenn ich nicht wegen meiner Interessen im Holzgeschäft schon in der Gegend gewesen wäre. Ich würde nicht versuchen, der Stadt meine Pläne für eine Untergrundbahn anzubieten, wenn ich nicht aufgrund meiner Minen große Erfahrung im Tiefbau hätte. Glauben Sie mir. Beschäftigen Sie sich damit, womit Sie sich auskennen.«
Plaudernd gingen sie weiter, vergaßen die Zeit, und nicht einmal entstand eine peinliche Stille, keine Sekunde, in dem einem von ihnen der Stoff ausgegangen wäre. Will war vollkommen bezaubert von Fiona. Noch nie hatte er jemanden wie sie getroffen – eine so leidenschaftliche, so direkte und aufrichtige Frau, so vollkommen und ohne Fehl. Sie faszinierte und entzückte ihn, und er wollte mehr über sie erfahren. Er fragte sie nach ihrer Familie, und als sie ihm erzählte, was
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